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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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angeordnet war, doch die Unmenge von Giebeln, die wir von außen hatten erkennen können, ließ auf zahllose Kammern und Flure schließen. Sollten wir etwa jede einzelne durchsuchen? Noch dazu, wo wahrscheinlich seit Jahrzehnten, wenn nicht gar Jahrhunderten keine menschliche Seele einen Fuß auf diese Böden gesetzt hatte. Das Parkett mochte morsch, die Räume voller Ratten sein. Allein die Vorstellung, bei jedem Schritt das sanfte Streicheln von Spinnweben im Gesicht zu spüren, schuf Gänsehaut auf meinen Armen.
    Doch da war noch etwas anderes. Ein Geräusch.
    Bosch wollte etwas sagen, doch ich brachte ihn mit einem Wink zum Schweigen. Ich lauschte.
    Ja, da war es. Ein Rascheln, das allmählich immer lauter wurde. Als näherte sich etwas aus großer Entfernung, vom anderen Ende des schwarzen Korridors.
    Bebend schob ich meinen Arm mit der Fackel weiter über die Schwelle. Sie beleuchtete einen Umkreis von acht, höchstens zehn Schritten. Angestrengt blinzelte ich in die Finsternis jenseits des Lichtkreises.
    Etwas bewegte sich.
    Etwas raste auf uns zu.
    Mit einem Aufschrei riß ich Bosch am Arm herum. Die Zeit reichte nicht mehr aus, um rückwärts über die Stufen zu fliehen. Statt dessen zog ich den alten Mann eng an die Wand, gleich neben die Tür.
    Im selben Augenblick schoß ein Umriß an uns vorüber. Mit ausgestreckten Krallen flog Walpurgas Katze durch die Tür, verfehlte Boschs Bein, streifte aber meines. Das Tier verfing sich im Stoff der Hose, überschlug sich und krachte mit einem schrillen Schrei rücklings auf die oberste Stufe. Ehe es sich fangen konnte, griff ich bereits zu und packte es am Nackenfell. Die Haare fühlten sich hart und borstig an, ungewöhnlich für eine Katze. Das Tier kreischte wie am Spieß, seine Klauen wirbelten in alle Richtungen und zerkratzten mir die Hand.
    Ich holte mit der Fackel aus, um auf das widerliche Biest einzuschlagen, das mir nun schon zum dritten Mal einen solchen Schrecken eingejagt hatte. In seinen Augen funkelte tückischer Scharfsinn. Einen Moment lang war ich gewiß, daß die Katze sehr wohl wußte, was sie tat. Sie wollte Böses tun und genoß es regelrecht.
    Boschs Hand hielt meinen Arm mit der Fackel zurück.
    »Tut es nicht«, verlangte er mit sanfter Stimme. »Es ist nur eine arme Kreatur.«
    Die Katze nutze mein Zögern und entwand sich meinem Griff. Mit einem letzten mißtönenden Kreischen sprang sie die Treppe hinab und verschwand hinter der nächsten Biegung. Ich hörte, wie ihr Trappeln tiefer unten auf den Stufen verklang.
    »Ihr kennt dieses Miststück nicht«, fuhr ich den Maler an, viel schärfer, als es nötig gewesen wäre.
    Der alte Mann lächelte milde. »Wollt Ihr Eure Wut und Furcht an einem Tier auslassen? Hält Euch die Angst so fest in ihrem Griff? Glaubt mir, Wagner, auch ich fürchte mich vor dem, was uns auf diesem Dachboden erwarten mag. Aber es hilft keinem von uns, wenn Ihr eine Katze erschlagt, die keine Schuld an unserem Dilemma trägt.«
    Ich wollte widersprechen, doch Bosch wandte sich bereits ab und trat beherzt über die Schwelle. Mit ausgestreckter Fackel machte er zwei Schritte voraus in das Zwielicht, dann verharrte er erneut.
    »Es ist heiß hier oben«, sagte er, ohne sich nach mir umzudrehen. »Heiß und trocken. In einer Luft wie dieser gedeiht die Bosheit besser als irgendwo sonst.«
    »Ihr macht mir wahrlich Hoffnung, Meister Jheronimus«, entgegnete ich grimmig.
    Der Maler stieß ein leises Lachen aus. Sogar dieser Laut schien mir mit einem Mal unheimlich und angsteinflößend. »Wollt Ihr mir folgen, oder gedenkt Ihr, im Treppenhaus zu warten, bis ein alter Mann alle Arbeit allein getan hat?« Kurioserweise fiel mir jetzt erstmals auf, daß er mit einem leichten Akzent sprach.
    »Ich komme schon«, entgegnete ich unwirsch und folgte ihm ins staubige Innere des Speichers. Meine Hand mit der Fackel zitterte. Ich besann mich und zog den Dolch aus meinem Stiefel.
    Bosch sah sich just in diesem Augenblick um. »Ah, ich sehe, Ihr seid für alles gewappnet.«
    »Wie kommt es nur, daß ich den Eindruck habe, als machtet Ihr Euch über mich lustig?«
    Der Maler schüttelte ernsthaft den Kopf. »Verzeiht, wenn ich Euch Anlaß zu dieser Vermutung gab, mein junger Freund. Es lag keineswegs in meiner Absicht. Aber laßt uns nun endlich diese elende Aufgabe erledigen. Ich bin ihrer vollkommen überdrüssig und sehne mich nach Pinsel und Palette.«
    Während wir den Gang hinuntergingen, möglichst leise und mit behutsamen

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