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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Erstaunen kam ihm Delphine mit einem Nicken zuvor.
    »Warum habt Ihr Angelina oben im Gang geschlagen?« fragte ich.
    Die Wahrsagerin schenkte erst mir, dann Angelina einen überraschten Blick. »Ich habe sie nicht geschlagen«, erwiderte sie fest.
    »Irgendwer hat sie im Geheimgang angegriffen, ganz in der Nähe unserer Zimmer«, entgegnete ich beharrlich.
    Delphine schüttelte den Kopf. »Ihr habt mich erst oben auf dem Speicher entdeckt. Von dort aus entkam ich aufs Dach. Den Geheimgang habe ich nicht betreten.«
    Ich sah Angelina an. Sie nickte zustimmend, denn sie begriff bereits, was mir selbst erst einen Augenblick später klar wurde: »Dann war der Angreifer der wahre Mörder. Er ist vor uns geflohen und führte uns auf dem Dachboden auf Eure Fährte.«
    »Dumm ist er nicht«, sagte Faustus und ließ offen, ob er damit mich oder den Mörder meinte.
    »Dann muß er die ganze Zeit über gewußt haben, daß ich noch lebte«, entfuhr es Delphine.
    Ich nickte. »Er muß gewußt haben, daß Ihr Euch auf dem Dachboden versteckt hieltet. Auch ahnte er, daß Ihr vor uns fliehen würdet, weil niemand erfahren sollte, daß Ihr noch am Leben seid. Und während wir Euch folgten, konnte er in aller Ruhe entkommen.«
    »Dann weiß er möglicherweise auch, daß wir jetzt hier unten sind«, sagte Delphine.
    Ich wollte etwas hinzufügen, doch Faustus ging ungeduldig dazwischen. »Um so schneller sollten wir von hier verschwinden. Laßt uns also endlich weitergehen.«
    »Das Gehen könnte schwierig werden…« bemerkte Gwen, entzündete ihre Fackel an der ihrer Herrin und leuchtete einige Schritte voraus in die Dunkelheit.
    Der steinerne Boden endete an einer scharfen Kante, und dahinter, etwa eine Elle tiefer, erstreckte sich ein glucksendes Gewässer. Die Oberfläche wellte sich so schwarz und träge wie heißer Teer.
    Meine Augen brauchten eine Weile, um sich an das neue Licht zu gewöhnen, doch schließlich sah ich auch die gegenüberliegende Seite. Es war nicht allzu weit bis dorthin, vielleicht drei Mannslängen. Dahinter wuchs ein künstliches Ufer aus Steinplatten empor. Wo das Wasser aber zur Rechten und Linken endete, war in dem begrenzten Lichtschein nicht auszumachen. Auch konnte ich nicht erkennen, ob es sich um einen unterirdischen See, ein langgestrecktes Becken oder einen Flußlauf handelte. Vieles sprach für eine von Menschenhand geschaffene Anlage, denn die Flüsse und Kanäle des Spreewaldes mußten weit über uns liegen. Hätte es eine Verbindung zu ihnen gegeben, so wäre diese ganze Halle, ja, das gesamte Kellergeschoß vom Grundwasser überflutet worden.
    »Was ist auf der anderen Seite?« fragte ich.
    »Die Krone«, erwiderte Delphine. »Es gibt keine andere Möglichkeit. Sie muß dort sein.« Woher sie diese Sicherheit nahm, verriet sie uns nicht. Wahrscheinlich hatte sie schlichtweg genügend Zeit damit verbracht, jede Kammer und jeden Gang in diesem Schloß zu erforschen.
    Trotzdem hatte ich Zweifel. Die wenigen Tage hätten kaum ausgereicht, ein einzelnes Stockwerk gründlich auf verborgene Fächer und Räume abzusuchen, geschweige denn das ganze Gemäuer mit seinen weitläufigen Kellern.
    Und hätte die Krone, falls es sie denn überhaupt gab, nicht auch unter den Trümmern eines der Nebengebäude begraben liegen können, verschüttet für alle Ewigkeit?
    Jedoch, ich wagte nicht, meine Zweifel laut auszusprechen. Ich wußte ohnehin, daß nur Angelina sie teilen würde, denn die anderen drei waren vom Gedanken an den Schatz geblendet. Selbst Faustus schien völlig besessen davon. Es war eine gänzlich neue Seite meines Meisters, die ich in jenen Tagen kennenlernte. Es war keine Habgier und keine blindwütige Goldsucht; vielmehr äußerte sich darin sein Drang, immer neue Wege auf seiner Suche nach Weisheit und Vollkommenheit zu beschreiten. Er versprach sich vom Besitz der Krone zweifellos mehr als ihren Wert in Münzen. Allein ihr Zauber war es, der ihn lockte.
    »Wart ihr dort drüben?« fragte er an Delphine und Gwen gewandt.
    »Das Wasser ist voller Schlangen«, entgegnete Delphine, »wie überhaupt der ganze Keller.«
    Furchtsam streifte mein Blick den Boden, doch zu meiner Erleichterung war keines der Tiere zu sehen.
    »Hätten wir schwimmen sollen?« fragte Gwen, ein wenig zu respektlos, wie ich fand.
    Faustus nahm es ihr nicht übel. »Natürlich nicht«, erwiderte er ruhig. »Aber es muß doch einen Weg zur anderen Seite geben.«
    Delphine trat näher an die Uferkante und leuchtete mit

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