Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
irgendwo in schwarzer Ferne. Es sah nicht aus, als wäre er fündig geworden.
Wir standen da wie auf einer erleuchteten Insel inmitten eines finsteren Ozeans. Um uns war nur Dunkelheit; ebensogut hätten wir im Nachthimmel schweben können, es hätte kaum einen Unterschied gemacht. Allein dem Wassergraben war es zu verdanken, daß ich nicht völlig die Orientierung verlor. Weder Wände noch Decke waren zu sehen, nur der runde Ausschnitt vom Boden, den unsere Fackeln beschienen, keine zehn Schritte im Durchmesser.
Faustus kam wieder auf uns zugerannt und rief etwas, doch der Hall verzerrte seine Worte bis zur Unkenntlichkeit. Erst als er wieder neben mir stand, verstand ich, was er sagte.
»Es ist ein Mensch, keine Frage. Ich hörte, wie er weglief.«
»Dann ist er fort?« fragte ich wenig hoffnungsvoll.
Faustus schüttelte im gelbroten Schein der Fackel den Kopf. »Nein, bestimmt nicht. Er ist irgendwo hier, ganz in der Nähe…«
Im selben Moment ertönte ein leises Kichern.
Jemand wisperte im Dunkeln: »Eure Fackeln werden euch nicht helfen.« Das Flüstern entstellte die Stimme so sehr, daß ich nicht hätte sagen können, ob es ein Mann oder eine Frau war, die sprach.
Drei Fackeln wurden fauchend herumgerissen. Vergeblich. Die Finsternis umgab uns wie Nebel, wie dichter, wallender Rauch.
Die Gestalt am anderen Ufer war jetzt nicht mehr zu sehen. Aber sie war nicht fortgegangen. Der Lichtkreis hatte sich nur verschoben.
Das Kichern wiederholte sich, diesmal aus einer anderen Richtung.
»Er spielt wieder mit uns«, sagte Faustus leise.
»Aber wer ist es?« fragte ich und umklammerte mein Schwert fester.
»So viele kommen nicht mehr in Frage, oder?«
»Der Traumvater?«
Faustus schüttelte wieder den Kopf. »Der ist fort. Nachdem er uns aufeinandergehetzt hat, hat er eingesehen, daß keiner von uns würdig ist, sein Nachfolger zu werden. Er hat nur beobachtet. Das hat ihm gereicht.« Die Stimme meines Meisters klang beinahe verbitten, wie ein Kind, dem man das versprochene Backwerk verweigert.
»Dann bleibt nur noch Bosch«, sagte ich. »Alle anderen sind tot oder hier bei uns.«
»Du glaubst, er war es, der das Feuer im Kerker legte?«
Ich dachte nach, kam aber zu dem Schluß, daß das unmöglich war. Angelina hatte ihn beobachtet; Bosch hatte sein Zimmer nicht verlassen.
»Ganz recht«, sagte Faustus, nachdem ich ihm meine Ansicht erklärt hatte.
Ich seufzte. »Dann muß es jemand sein, den wir noch nicht kennen.«
Bevor Faustus etwas erwidern konnte, fuhr Delphine wütend dazwischen. »Wie könnt ihr jetzt Mutmaßungen anstellen, während der Mistkerl um uns herumschleicht?«
Faustus und ich hatten leise geflüstert, doch Delphine gab sich nicht einmal Mühe, ihre Stimme zu dämpfen. Die Worte hallten verzerrt durch die unterirdische Halle.
Da war es wieder, das Raunen in der Dunkelheit: »So, so, ein Mistkerl.«
Und im selben Augenblick zerriß ein ohrenbetäubendes Krachen die Stille. Ein greller Blitz leuchtete auf und tauchte für einen Herzschlag alles in blendendes Weiß.
Delphine wurde von irgend etwas getroffen. Der Einschlag warf sie nach hinten, während ihr Rücken aufplatzte wie eine reife Frucht. Kaum eine Handbreit vor der Uferkante prallte sie zu Boden. Sie starb, ehe einer von uns sich über sie beugen konnte.
»Er hat eine Handbüchse!« schrie ich entsetzt. »Er hat eine gottverdammte Büchse!«
Gwen heulte verzweifelt auf und ging neben der Toten in die Knie. Faustus hockte sich daneben und ergriff Delphines leblose Hand. Für einen kurzen Moment schloß er die Augen, atmete tief ein und schluckte seine Trauer und seinen Schrecken herunter, wie einer, der auf eine Made im Apfel beißt und ihn trotzdem mit Todesverachtung herunterwürgt. Faustus weigerte sich sein Leben lang, seine Gefühle offen zu zeigen.
Der Mörder kicherte wieder, dann entfernten sich seine Schritte. Der Hall machte es unmöglich, zu erkennen, in welche Richtung er lief.
Faustus erhob sich. »Er muß erst nachladen, das dauert eine Weile.«
»Was sollen wir tun?« fragte ich verzweifelt.
Angelina trat dicht neben mich. Sie hatte Delphines Fackel an sich genommen. Gwen kniete immer noch mit gesenktem Kopf neben dem Leichnam. Das lange Haar war ihr vors Gesicht gefallen und verdeckte ihre Züge. Sie schluchzte leise.
»Löscht die Fackeln«, flüsterte Faustus. »Schnell! Ins Wasser damit – oder, nein, werft sie dort hinüber, alle auf einen Haufen.«
Die drei Fackeln landeten dicht
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