Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
vielmehr, ob er verhindern konnte, daß ein anderer es versuchte.
    Im Treppenhaus verharrten wir einen Moment, während Delphine und Faustus angestrengt in die Stille lauschten. Nichts war zu hören. War es Bosch, den sie fürchteten?
    Auf leisen Sohlen liefen wir die Stufen hinab in den Keller. Delphine und Angelina zogen zwei Fackeln aus den Halterungen. Riesenhaft geisterten unsere Schatten über die Wände.
    Als wir an der Gruft vorbeieilten, fragte ich Faustus im Flüsterton: »Warum liegt sie nicht in ihrem Grab?«
    Er lächelte. »Sieht sie aus, als ob das nötig wäre?«
    »Aber weshalb habt Ihr gelogen, als Ihr sagtet, sie sei tot?«
    Er seufzte. »Du gibst keine Ruhe, nicht wahr? Nun, es ist ganz einfach. Der Mörder sollte annehmen, Delphine sei tot…«
    »… damit sie ungestört das Schloß durchsuchen konnte«, führte ich den Satz zu Ende, denn allmählich begann ich zu begreifen.
    »So ist es. Weshalb fragst du, wenn du die Antwort bereits kennst?«
    Ich überhörte seine Rüge. »Wonach aber hat sie gesucht?«
    »Als ob du dir das nicht denken könntest.«
    »Die Krone?«
    Faustus nickte stumm.
    »Und nun hat sie sie gefunden?«
    »Zumindest behauptet sie das.«
    »Ihr habt großes Vertrauen zu ihr«, stellte ich fest und sah ihn von der Seite an.
    »Wir kennen uns bereits… geraume Zeit«, gab er zögernd zur Antwort. Ich verstand sehr wohl, daß er nicht mehr dazu sagen würde.
    »Seid still!« gebot Delphine plötzlich in herrischem Ton. Sie lief an der Spitze und führte uns durch einen engen Korridor.
    Ich fragte mich, wovor sie Angst hatte. Der Traumvater war offenbar fort – ein weiteres Rätsel, das mir auf der Zunge brannte –, und Bosch, nun, der war mit seiner Malerei beschäftigt. Zudem hätte ein alter Mann wie er es kaum mit vier von uns – fünf, wenn ich Gwen dazuzählte – aufnehmen können.
    Trotzdem fürchtete sie etwas. Aber ich ahnte, daß jede Frage vergeblich war. Die Hellseherin gab sich im Augenblick noch wortkarger als mein Meister.
    »Haltet Ausschau, daß niemand uns folgt«, flüsterte sie lediglich.
    Angelina und ich schauten uns um, sahen aber nichts. Der Korridor hinter uns lag völlig verlassen da. Kein Mensch war zu sehen. Falls uns eine Gefahr drohte, so kaum aus dieser Richtung.
    Wir erreichten schließlich einen weiteren Treppenschacht, der hinab ins Innere der Erde führte. Der Zugang zu den unteren Kellern war steil, die Stufen schraubten sich wie ein schwarzer Strudel in die lichtlose Tiefe. Ein kühler Wind wehte uns aus der Dunkelheit entgegen und trug den Geruch von feuchten Gewölben und, ja, von Wasserpflanzen herauf, wie er in heißen Sommern über manch stillem Waldgewässer steht. Dort unten aber waren weder Wald noch Sommer, und der erdrückende Odem verwirrte mich.
    Das Licht der beiden Fackeln begann seltsam zu tanzen, während wir die Treppe hinabstiegen. Mir war, als hätte die Dunkelheit an Dichte gewonnen. Manchmal war es schier unmöglich zu sagen, ob die schwarze Form vor einem der Vordermann oder sein Schatten war.
    Die Treppe endete auf einem abschüssigen Gang. Ihm folgten wir, bis seine Wände plötzlich zu beiden Seiten im Dunkeln verschwanden. Wir mußten eine unterirdische Halle von enormen Ausmaßen betreten haben, denn unsere Schritte hallten mit einem Mal um ein Vielfaches lauter. Von irgendwo drang ganz leise ein Plätschern an mein Ohr. Der Geruch von fauligem Wasser wurde fast unerträglich.
    »Gwen?« fragte Delphine vorsichtig in die Finsternis. »Gwen, wo bist du?«
    Lange Zeit gab niemand Antwort, und ich fürchtete schon das Schlimmste, als plötzlich eine Gestalt in den Lichtkreis der vorderen Fackel trat.
    »Hier bin ich«, sagte das Mädchen. »Ich habe meine Fackel gelöscht, damit niemand bemerkt, daß ich hier unten bin.«
    Allein in dieser absoluten Schwärze, ohne Orientierung. Die Vorstellung ließ mich schaudern.
    Gwen erblickte Angelina und mich, sie lächelte, erwähnte aber ihr Verschwinden aus dem Gästehaus mit keinem Wort. Sie mußte ihrer Meisterin nach deren angeblichem Tod bei der Schatzsuche im Schloß beigestanden haben. Ich fragte mich, wie oft sie oder Delphine es gewesen waren, deren Schritte wir in den Geheimgängen vernommen hatten.
    Angelina stieß mich ungeduldig mit dem Ellbogen an, und ich ergriff verärgert das Wort: »Hätte irgend jemand die Güte, uns zu erklären, was hier gespielt wird?«
    Faustus seufzte und hatte wohl ein neuerliches »Jetzt nicht« auf den Lippen, doch zu meinem

Weitere Kostenlose Bücher