Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
allein«, sagte er. »Leg dich hin. Versuche, ein wenig zu schlafen.«
»Darf ich fragen, wohin Ihr geht?«
»Aufs Dach.«
Ich muss wohl ziemlich verdutzt dreingeschaut haben, denn er fügte mit einem Lächeln hinzu: »Mach dir keine Gedanken. Schlaf einfach. Ich möchte, dass du bei unserer Verabredung mit Massimo ausgeruht bist.«
»Ja, Herr.«
Er verließ das Zimmer, nicht ohne mich zuvor zu ermahnen, den Riegel vorzuschieben. Dann hörte ich, wie sich draußen auf dem Gang seine Schritte entfernten.
In meinem Kopf herrschte ein wüstes Durcheinander. Die neuen Eindrücke des Tages durchmischten sich mit Gedanken an Angelina und der Frage, was Faustus wohl hinauf auf das Dach des Gasthofs trieb. Es dauerte nicht lange, da hatte ich den Entschluss gefasst, ihm heimlich zu folgen. Falls er dort oben nach Angelina Ausschau hielt, war das der Beweis, dass er sich insgeheim ebenso um sie sorgte wie ich selbst. Und für gewöhnlich war es kein gutes Zeichen, wenn mein Meister sich Sorgen machte; es bedeutete, dass uns wieder einmal Ärger bevorstand.
Ich verließ die Kammer und drehte hinter mir den rostigen Schlüssel im Schloss. Rasch steckte ich ihn ein und schlich auf Zehenspitzen den Gang hinunter. An seinem Ende führte eine Treppe ins Dachgeschoss.
Hier oben befanden sich die armseligsten Quartiere des Hauses. Es gab keine Wände, nur die beiden Dachschrägen, die hoch oben aneinander stießen. Um trotzdem so viele Gäste wie möglich einzuquartieren, hatten die Wirtsleute Laken gespannt und den Dachboden damit in winzige Parzellen aufgeteilt. Pilger aus aller Welt, die oft jede nur erdenkliche Entbehrung durchlitten hatten, waren dankbar für solch eine Unterkunft, und so kam es, dass die meisten Betten belegt waren. Hinter den Lakenvorhängen hörte ich Schnarchen und Rascheln, als ich mich leise einer Leiter näherte, die hinauf aufs Dach führte. Die Luke stand offen.
Ich kletterte langsam die Sprossen hinauf und horchte auf Schritte, doch nichts war zu hören. Das Dach war mit Tonziegeln gedeckt, selbst in einer Stadt wie dieser keine Selbstverständlichkeit. Die Wirtsleute machten offenbar einträgliche Geschäfte.
Unendlich vorsichtig schob ich meinen Kopf durch die Dachluke. Erst konnte ich meinen Meister nirgends entdecken. Dann aber sah ich ihn am Rand der Schräge sitzen, nur eine Handbreit vom Abgrund eines Innenhofs entfernt. Er saß da mit angezogenen Knien und hatte die Augen geschlossen. Sein Gesicht wirkte so ruhig und friedlich als schliefe er.
Nach meinem ersten Schrecken wurde ich ruhiger. Ich wollte mich zurückziehen, entschied dann jedoch, noch einen Augenblick länger hier zu bleiben und ihn zu beobachten.
Mein Meister hatte sein Gesicht dem Vatikan zugewandt. Ich konnte die Bauten von hier aus deutlich jenseits der Häuserreihen erkennen. Der Turm des Innozenz überragte den Papstpalast, und auch die Ruinen der Basilika und das neue Säulengeviert waren in der Dunkelheit zu erahnen, im Schein Hunderter von Fackeln. Es war ein erhebender Anblick, beeindruckend in seiner schieren Größe und der Ambition seiner Baumeister.
Tief atmete ich die frische Nachtluft ein. Hier oben war sie um ein Vielfaches klarer als weiter unten im Haus oder in den stinkenden Gassen des Borgo.
Gerade wollte ich wieder nach unten klettern, als aus der Tiefe des Innenhofs ein leises Rascheln empordrang, gefolgt von einem Bellen. Da wusste ich, warum Faustus heraufgekommen war.
Leise schob ich mich weiter aus der Luke. Sie war nahe an der Dachkante gelegen, trotzdem musste ich ganz ins Freie klettern, um einen Blick in den Abgrund zu werfen. Jeden Moment erwartete ich, dass Faustus aus seiner inneren Einkehr erwachte; ich fürchtete, vor Schreck würden wir beide den Halt verlieren.
Doch Faustus hielt weiter die Augen geschlossen, und so gelang es mir, unbemerkt über die Dachkante zu blicken.
Ein rotes Augenpaar glühte in den Schatten des Hofes. Es schaute geradewegs zu mir herauf.
Mephisto!
Ich federte zurück, obgleich er mich natürlich entdeckt hatte. Ich fürchtete, er würde es meinem Meister mitteilen, doch Faustus rührte sich noch immer nicht.
Zwischen ihm und dem schwarzen Hund bestand eine Verbindung aus purer Gedankenkraft. Damals, auf der Wartburg, hatte Mephisto uns auf diese Weise vor den näherrückenden Borgia-Engeln gewarnt. Ich fragte mich, ob er auch diesmal eine Warnung aussprach. Mir schien das unnötig. Größer konnte die Gefahr kaum werden.
Oder doch?
Himmel und
Weitere Kostenlose Bücher