Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
als ich plötzlich über einen Körper am Boden stolperte. Ich hielt ihn erst für einen Betrunkenen und wollte meinen Weg rasch fortsetzen, doch dann sah ich, dass der Mann die Uniform eines Gardisten trug und aus einer Platzwunde an der Schläfe blutete.
Mit einem stillen Seufzer fühlte ich seinen Pulsschlag. Der Mann war nur bewusstlos. Es gab kaum Zweifel, wer ihn niedergeschlagen hatte.
Wie lange würde es dauern, ehe man ihn vermisste? Von hier bis zum nächsten Feuer waren es höchstens zwanzig Schritte. Falls man ihn suchte, würde er rasch gefunden werden. Dann würden die Gardisten den Bauplatz durchkämmen.
Ich zögerte kurz, dann packte ich den Bewusstlosen an den Beinen, zog ihn hinter einen Haufen loser Steine und breitete einige Holzlatten über ihm aus. Ein notdürftiges Versteck, gewiss, aber für mehr blieb keine Zeit. Ich musste Angelina so schnell wie möglich finden. Sonst mochte nur der Himmel wissen, in welche Schwierigkeiten sie stolperte.
(Ich kann Eure Gedanken lesen, naseweiser Leser. Ich weiß, dass Ihr nun denkt, der alte Wagner sei endgültig in vernebelter Überschätzung seiner selbst versunken. Angelina stolpert nicht, mögt Ihr denken, oder: wovor kann einer wie Wagner eine wie sie schon retten? Gewiss, ich muss Euch Recht geben, Angelina war schnell und flink und überaus geübt im Umgang mit den Waffen. Doch in jener Nacht und an jenem Ort war sie – nun, wie soll ich sagen? – nicht ganz bei sich. Zumindest war das meine Befürchtung, und schon bald sollte sie sich … Aber, halt ein, lose Feder! So lest denn weiter, wenn Ihr mögt, und schimpft mich ein Großmaul, wenn es gerechteren Anlass dazu gibt!)
Mit gezogener Klinge eilte ich gebückt zwischen Holzstapeln und Steinhaufen umher, sprang über Werkzeuge, die man unter gefetteten Tüchern abgelegt hatte und wich Wächtern aus, die über den nächtlichen Platz patrouillierten. Wenn man nicht Acht gab, war es leicht, ihnen in die Arme und Schwerter zu laufen. Mehr als einmal trat einer hinter einer leer stehenden Bauhütte oder einem Marmorblock hervor, und nur mit Mühe konnte ich ihm aus dem Wege gehen, bevor er meiner gewahr wurde.
Kurz vor der Stelle, an der sich einst das Portal befunden hatte, verharrte ich im Schatten. Es war durchaus möglich, dass Angelina kreuz und quer über den Bauplatz irrte, doch schien mir dies eher unwahrscheinlich. Ich vermutete vielmehr, dass sie die alte Basilika aufsuchen würde – oder das, was davon übrig war. Als man sie als Kind hierher gebracht hatte, hatte die Konstantinsbasilika noch gestanden, und es war denkbar, dass Angelina sie noch in ihrem ursprünglichen Zustand gesehen hatte. War es nicht nahe liegend, dass sie einen Ort aufsuchte, der die Erinnerungen an ihre Kindheit, vielleicht gar an ihre Herkunft zurückbringen würde?
Der einstige Innenraum der Basilika lag unter freiem Himmel, seit man das Dach und Teile der Außenmauern abgetragen hatte. Mich wunderte, dass nicht schon hier, am früheren Eingang, Wachtposten standen. Immerhin waren die Gebeine des Petrus, die im Inneren aufbewahrt wurden, eine der wertvollsten Reliquien der Christenheit.
Vorsichtig schob ich mich vorwärts, immer noch im Schatten eines Mauerrests verborgen. Der Spalt, der heute statt eines Tores zwischen den Wänden klaffte, war fast zehn Schritte breit. Das Erdreich war schlammig und von zahllosen Karrenrädern zerfurcht; die tiefen Fahrrinnen schlängelten sich wie pechschwarze Lindwürmer über den Boden, so wenig Licht warf der Mond auf diesen Teil des Platzes. Es war noch nicht lange her, da mussten hier Steinplatten oder zumindest doch Pflastersteine gelegen haben. Jetzt aber hatte man sie herausgerissen, vermutlich, um sie anderswo zu verbauen oder Gruben damit aufzufüllen.
Ich schlich bis zur Mauerkante neben dem Spalt und wagte einen vorsichtigen Blick ins Innere der Basilikaruine. Hier arbeitete so spät in der Nacht niemand mehr, es herrschte bedrückende Stille. Auch sah ich keine Gardisten, die das Grab des Ersten Apostels bewachten. Es war ein weiter Weg von hier bis zum Geviert der neuen Säulen, an deren Fuß sich die unterirdische Grabkammer befand – und ich war sicher, dass sich nirgends ein Mensch aufhielt, niemand, der die wertvollen Reliquien behütete.
Die Gerüste überragten teilweise die Mauern, ihre Enden warfen ein verästeltes Gitterwerk aus Schatten über den Innenraum. Bauhütten kauerten wie schwarze Ungetüme an den Wänden, und überall lagen
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