Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
zu töten?« Und habt Ihr es gehofft?
Das Zögern des Inquisitors bestärkte ihn in seiner Vermutung.
»Du bist ein kluger Mann, Faustus«, entgegnete Asendorf schließlich. »Auch wenn es deiner Klugheit nicht immer leicht fällt, den Panzer aus Arroganz zu durchbrechen, hinter der du sie verbirgst.« Leiser und mit großem Ernst fügte er hinzu: »Was mag erst zum Vorschein kommen, wenn du dir eines Tages dein wahres Wesen eingestehst?«
Früher war es leicht gefallen, die hohe Bildung dieses Mannes zu übersehen, der im Namen der Kirche mordend durch die Lande gezogen war. Seine Worte heute aber ließen weit mehr auf den Menschen Asendorf schließen, ebenso wie auf seine lange Ausbildung zum Geistlichen. Er kannte die Schriften der antiken Gelehrten, und er hatte sich gewiss beizeiten seine Gedanken darüber gemacht. Bei all seinem Umgang mit dem Tod besaß er auch große Erfahrung mit dem Leben.
»Welche Maske ist schlimmer?«, fragte Faustus. »Die der Arroganz, oder die der Grausamkeit?«
Asendorf lachte leise. »Irgendwann einmal hätten wir Freunde werden können, Faustus. Vor langer, langer Zeit.«
Vielleicht, dachte Faustus, ohne den Gedanken auszusprechen. Vielleicht hätten wir das wirklich. Und er fragte sich, was den Inquisitor zu dem gemacht hatte, was er schließlich geworden war. War es vielleicht gerade sein Wissen gewesen, sein Wissen und eine Flucht vor … ja, vor was? Der Wirklichkeit?
»Ihr habt mich gejagt, Asendorf, nicht ich Euch.«
»Vielleicht war ich auf der Suche. Nach einem ebenbürtigen …«
»Gegner?«
»Denker.«
»Seht Ihr Euch denn selbst als einen an?«
»Was bleibt mir denn heute anderes übrig? Die Welt ist sehr klein für mich geworden Faustus. So klein, dass sie in meinen Schädel passt. Dort spielt sich heute mein Leben ab.«
»Ihr nennt das Leben?«
»Noch ist es nicht der Tod.«
»Ich bin nicht gekommen, Euch zu töten, Asendorf. Selbst wenn Ihr Euch das gewünscht habt.«
Das Auge des Inquisitors zuckte hinüber zum Bibelzwerg. »Er kann es nicht tun. Er würde es nie übers Herz bringen. Er liebt mich.«
Der Zwerg verbarg das Gesicht hinter den Armen.
»Und auch sonst tut es keiner«, setzte Asendorf hinzu.
Faustus kam ein Gedanke. »Dann seid Ihr ein Gefangener!«, entfuhr es ihm verblüfft.
»Es macht mir Mut, dass du es jetzt erst bemerkst. So habe ich mir vielleicht doch einen allerletzten Rest von Würde bewahrt. Ganz recht, Faustus. Ich bin ein Gefangener wie du. Der Borgia hat keine Verwendung für mich. Ich bin sein Spielzeug. Es gefällt ihm, mich anzusehen. Mein Anblick führt ihm vor Augen, was ihm selbst erspart bleiben wird. Wie groß sein Gewinn ist. Sein Triumph.« Er schnaubte verächtlich. »Er hat mir die Bitte gewährt, dich zu sehen. Er glaubt, es quält mich, meinen einstigen Gegner so gesund und lebendig vor mir zu sehen. Doch das tut es nicht. Kein Schmerz, Faustus. Nur Hoffnung.«
»Selbst wenn ich wollte, könnte ich dich nicht töten. Ich habe keine Waffe.«
»Treib keine Scherze mit mir.« Asendorfs Stimme klang plötzlich eine Spur schärfer. »Du kennst mehr Wege, mit bloßen Händen zu töten, als ich mit Hilfe der größten Folterkammer.«
»Warum hasst dich der Borgia so sehr?«
»Du meinst, weil er mich all das durchmachen lässt? Ich glaube gar nicht, dass er mich hasst. Ich amüsiere ihn. Meine Machtlosigkeit bestätigt ihn in seiner Allmacht. Und hin und wieder schätzt er das Gespräch mit mir. Ich rate ihm dann, sich selbst das Herz herauszureißen, damit die Ratten aus dem Tiber seinen verfluchten Kadaver zerfetzen können.«
Faustus trat um das Bett herum, bis er auf Schulterhöhe neben dem Inquisitor stand. Der Zwerg schwänzelte um seine Beine herum, hielt ihn aber nicht auf. Der kleine Mann hasste Faustus, aber er respektierte auch die Entscheidung seines Herrn.
»Geh!«, sagte Faustus zu ihm.
Der Zwerg hörte nicht auf ihn.
»Tu, was er sagt«, befahl Asendorf seinem Diener.
Wieder brach der Zwerg in Tränen aus, dann bewegte er sich rückwärts davon.
»Die Vorhänge«, verlangte Asendorf.
Unendlich langsam griff der Zwerg nach der Schnur.
»Leb wohl«, sagte der Inquisitor. »Und hab Dank für deine Treue.«
Der Zwerg zog weinend an der Schnur, und die Vorhänge schlossen sich. Faustus war jetzt allein am Bett des Inquisitors.
»Wir haben nicht mehr viel Zeit«, sagte Asendorf. Sein eines Auge, immer noch rot unterlaufen, sah den Doktor eindringlich an. Nicht flehend – dazu war er zu
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