Die neue Hoffnung der Föderation (Der Dezennienkrieg 1)
gemeinsam schweigen zu können. Louise war ihm genau wie früher vor seinem Weggang wieder teuer geworden, und er konnte sich nur wünschen, dass seine künftige Ehefrau charakterlich ein bisschen so sein würde wie sie. Geduldig, liebevoll, heiter und aufmunternd. Eine richtige Schwester, die in seinen Augen trotz der vier Jahre Altersunterschied nicht wirklich kleiner war als er.
„Woran denkst du gerade?“ Sie hatte ihr Stickzeug sinken lassen und blickte ihn amüsiert an.
Ertappt sah er weg. „An nichts… ich suche nur nach der Lösung dieser Gleichung.“
Sie lachte und schüttelte den Kopf.
Untereinander waren sie offen. Die gesellschaftlichen Schranken mochten überall gelten, aber nicht hier in diesem Zimmer. Seinem privaten Bereich.
„Ernsthaft!“, beharrte der Bettlägerige auf seiner Aussage.
„Du weißt doch. Ein Mitglied der Familie Auvergne sagt immer die Wahrheit oder…“
„… es entehrt sich und seine Familie“, führte er zu Ende und seufzte. „Na gut. Ich habe gerade nur daran gedacht, dass ich mir wünsche, meine zukünftige Gefährtin wäre so wie du.“
Das Blut schoss Louise ins Gesicht. „Etienne, das…“
„Ich meine es so, wie ich es sage! Es kann doch nicht verkehrt sein, wenn ich meiner Schwester ein Kompliment mache, oder?“
„Nein. Ist es nicht.“ Sie sah hinunter auf ihre Arbeit. „Vielen Dank. Ich weiß, dass du es so meinst, und es ist eine Ehre für mich.“
„Du hast sie verdient.“
Louise schwieg lange, sodass er sich wieder der Mathematik zuwandte. Wenn es ihm doch nur nicht so schwer gefallen wäre, sich zu konzentrieren!
„Etienne, möchtest du etwas wissen?“, durchschnitt ihre sanfte Stimme schließlich die Ruhe.
„Was sollte ich wissen wollen?“
„Mit wem Euer Ehren auf Anraten der Madame verhandelt.“
Die Ungeheuerlichkeit in diesem Satz nahm ihm zunächst die Luft, während er nachdenken musste. Louise musste also etwas gehört haben, denn sie war so ziemlich über alles informiert und unterhielt ihn oftmals mit Anekdoten über Bedienstete oder ihre Geschwister.
‚Will ich es hören?’ Die für ihn geknüpfte Familienallianz würde sein Leben womöglich bis zum Tod bestimmen und war bis kurz vor der Hochzeit ein gut gehütetes Familiengeheimnis. Andererseits betraf es ihn essenziell, auch wenn er niemals zugeben durfte, davon zu wissen. „Sag… bitte!“ Louise wusste, wen er vielleicht ehelichen würde!
Geräusche draußen auf dem Flur ließen seine Schwester verständlicherweise schweigen. Spekulieren mochte erlaubt sein, aber nicht das Verraten von etwas, das Louise auch niemals hätte erfahren sollen.
Der Hausangestellte Rainaud betrat mit der üblichen Höflichkeit den Raum, ließ seine Blicke über den auf dem Bett liegenden Bewohner sowie das jetzt wiederum äußerst sittsam arbeitende Mädchen schweifen und verkündete dann: „Sie haben einen Besucher zu Ihrer nachmittäglichen Unterhaltung, Monsieur. Wollen Sie ihn empfangen?“
Niemand hatte Belian bislang besucht, aber es konnte nur Jean Prévôt sein. Sein bester Freund!
‚Danke, Euer Ehren!’ Endlich hatte sein Vormund die Freundschaft seines Ältesten mit einem de Lille wohl akzeptiert. „Führen Sie ihn bitte her, Monsieur!“
Der hereinkommende Mann, bei dem man nicht einmal von ‚eintreten’ sprechen konnte, versetzte Belian erst in Enttäuschung und dann in Irritation. Kein Jean Prévôt!
Die Tür fiel zu, aber bevor der Fremde sich vorstellen konnte, platzte Louise heraus: „Bruder, das ist der Instruktor, den Königin Michelle einen Tag nach deinem Reitunfall hergeschickt hat.“
Immerhin bremste diese Erklärung den Erstgeborenen, aber sie versetzte ihn keineswegs in bessere Stimmung. „Wer sind Sie bitte, Monsieur?“
Eigentlich hatte er lieber fragen wollen ‚Was sind Sie?’, denn er hatte noch nie einen Menschen in einem antiquierten Rollstuhl gesehen. Und schon gar nicht so einen blassen, elend aussehenden Kerl in Kleidung, die selbst der unterste Bürger niemals anziehen würde. Sie stellte eine Beleidigung für die Augen dar und entehrte dieses Haus. Auch die Haarfarbe, die keineswegs echt sein konnte, kontrastierte ziemlich mit dem schrecklichen Aufzug. Wie konnte ein ungefähr 23-jähriger Mann, der seine schwarzen Haare rot coloriert hatte, dazu nur dieses knallige Orange anziehen?
Die Musterung hatte zur Folge, dass der Instruktor den Blick senkte. Er mochte von der Königin geschickt worden sein, aber ihm war keineswegs wohl
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