Die neue Lustschule
tief erschüttern, Wut eines Fremden uns selbst erregen, das herzhafte Lachen in Gesellschaft uns ebenso heiter stimmen kann – sogar ohne zu wissen, worum es jeweils eigentlich geht –, so ist auch die echte Lust des einen für den anderen ein konkurrenzloses Aphrodisiakum.
An der Mitnahmeerregung lässt sich auch am besten feststellen, wie sehr ein Orgasmus vorgetäuscht ist oder wirklich stattfindet. Dass hysterische Erregung animierend wirken kann, hat mit der Phantasie des Beteiligten zu tun. Selbst bei Prostituierten, bei denen es zur beruflichen Pflicht und auch zur persönlichen Würde gehört, sich nicht wirklich erregen zu lassen, kann der Freier seine Einbildung gut zur erotischen Animation benutzen. Im Bordell werden in erster Linie Phantasien vermarktet. Ohne diese Projektion würde das Geschäft mit gekaufter Sexualität nicht funktionieren. Aber zu einer Hure oder zu einem Callboy geht man in der Regel nur – von pathologischen Gründen abgesehen –, wenn man in sexueller Not ist und körperliche Entspannung braucht und dabei auch eine phantasiegetragene Beziehungslust erfüllender erlebt als die Einsamkeit der Masturbation.
Der «Huckepack-Orgasmus» meint etwas völlig anderes: dass die echte Erregung eines Partners die sexuelle Lust auch des anderen entfachen und steigern kann, selbst wenn man zunächst von sich aus gar nicht an sexueller Aktivität interessiert war oder aus irgendeinem Grund zu erschöpft oder mit anderen Dingen belastet ist. Dies kann als ein großartiger Beziehungsdienst erlebt werden – das Beste und auchdas Wichtigste, was man wirklich hilfreich für die Erregung des anderen tun kann. Inwieweit sich der Partner aber erreichen und lustvoll mitnehmen lässt, das liegt nicht mehr in der Macht und Möglichkeit des Aktivierenden. Die Körperlust schafft die Basis für den «Huckepack», die Beziehungslust sollte indessen frei von Kränkungen über den Mitnahmeeffekt bleiben. In einer guten Beziehung ist das natürlich kein Problem.
«Huckepack» kann aber noch etwas anderes meinen: Stress, Ärger, Sorgen sowie aufgestaute Gefühle, die durch gegenwärtige Ereignisse «getriggert» sind (so kann z.B. eine aktuelle Kränkung eine frühe Abwertung durch die Eltern reaktivieren), belasten das Lusterleben und können es sogar unmöglich machen. Körperlich sind solche belastenden Emotionen meistens im Oberkörper muskulär festgehalten. Dringt nun doch eine genital erzeugte Erregungswelle nach «oben» und berührt beispielsweise altes «Herzeleid» (etwa mütterlichen Liebesmangel, der durch eine gerade erlebte Enttäuschung wiederbelebt ist), so kann der orgastischen Entladung reaktivierter Schmerz folgen. Der Orgasmus führt also zum Weinen – und wer das nicht weiß und versteht, ist verwundert und erschrocken über die unpassende Reaktion, eventuell verbunden mit dem Gefühl von Peinlichkeit. Aber die alten, aufgestauten Gefühle sind nur «mitgerissen» worden, haben sich der Lust aufgelagert und surfen «Huckepack». Eine wunderbare Möglichkeit der Psychohygiene und Prävention. Auch in dieser Hinsicht erweist sich lustvolle Sexualität als eine hervorragende Kraft der emotionalen «Entsorgung» belastender Affekte und infolgedessen der Salutogenese, der Gesunderhaltung.
* Siehe dazu mein Buch «Der Lilith-Komplex. Die dunklen Seiten der Mütterlichkeit», C.H.Beck: München 5 2004, sowie in diesem Buch das Kapitel «Lilith-Komplex und Sexualität», S. 135ff.
** Wilhelm Reich: «Die Entdeckung des Orgons I. Die Funktion des Orgasmus», Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 1973.
II. KÖRPERLUST UND BEZIEHUNGSLUST
Körperlust
Die Reich’sche Orgasmusformel
Spannung – Ladung – Entladung – Entspannung
haben wir bereits kennengelernt. Mit dieser Formel lässt sich die Körperlust in vier funktionelle Einheiten einteilen, die für den Lustablauf wichtig sind. Ebenso werden Orgasmusstörungen funktionell verstehbar, so dass auch an ihren Verbesserungen gezielt therapeutisch gearbeitet werden kann.
Sexuelle Spannung
wird körperlich als Druck im Unterleib, als drängendes Bedürfnis, sich sexuell betätigen zu wollen, wahrgenommen. In den Genitalien wird Spannung durch Blutzufuhr mit Schwellungsgefühl, Wärmeempfinden und der Wahrnehmung von Feuchtigkeit gespürt. Bei der Frau können die Bartholinischen Drüsen Flüssigkeit absondern und den Scheideneingang benetzen, beim Mann kann sich ein visköses Sekret – aus der Prostata
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