Die neue Lustschule
entwickeln und längere Zeit halten können. In beiden Episoden bleibt das Mutterbild völlig unklar und vernebelt: Wo etwa ist die Göttin Mutter? Wie lassen sich Lust (Lilith) und Mutterschaft (Eva) verbinden und versöhnen? Wie kann die Frau kinderfeindliche (Lilith) und wie die Mutter lustfeindliche Gefühle (Eva) in ihr Leben integrieren? Wie lassen sich gesellschaftliche Ziele, Beruf und Karriere (Lilith) sowie Kinderbetreuung und Familienleben (Eva) gut zusammenführen?
Mit dem «Lilith-Komplex» – das heißt mit der Verleugnung der Lilith-Anteile in jeder Frau – werden drei wesentliche Merkmale des Weiblichen verbannt oder diskriminiert:
• die selbstverständliche Gleichwertigkeit (nicht Gleichartigkeit!) der Frau gegenüber dem Mann;
• die sexuelle Aktivität und eigenständige Lustfähigkeit der Frau sowie
• kinderfeindliche Aspekte in jeder Frau, die auch als Begrenzung von Mütterlichkeit erlebt werden können.
Über das Thema der Mütterlichkeitsstörungen habe ich in meinem Buch «Der Lilith-Komplex. Die dunklen Seiten derMütterlichkeit» ausführlich geschrieben. Hier möchte ich in diesem Zusammenhang kurz auf die verleugnete, angeprangerte und Angst machende sexuelle Aktivität und Lustorientierung der Frau eingehen.
Die «sexuelle Revolution» hat auch 1968 nicht wirklich stattgefunden. Die freizügige Darstellung sexuellen Geschehens, die Entmachtung moralisierender Treueverpflichtung, die Liberalisierung unterschiedlicher sexueller Orientierung, die relative soziale Anerkennung der Prostitution und ein riesiger Markt von Sexspielzeugen, Intimaccessoires und technischen Hilfsmitteln haben nicht wirklich zu mehr Verständnis, Zugänglichkeit und Akzeptanz der Lust geführt. Eher das Gegenteil ist der Fall: Eine äußerliche sexuelle Freizügigkeit und eine innere Lusthemmung führen immer stärker zu einer Krise der Lustfähigkeit, was sich an der Zunahme von Absurditäten und Abnormitäten wie Intimrasur, Intimpiercing und Tattoos ablesen lässt. Die unverstandene innere Not sucht nach äußerer dramatischer Darstellung.
Noch immer aber gibt es keine Lusterziehung und Lustbildung, keine Lustschule für die Heranwachsenden und im Grunde genommen keine wirkliche Lustakzeptanz. Sich über orgastische Potenz oder über das konkrete Lustgeschehen auszutauschen bleibt entweder tabu oder wird zum Gegenstand von Angeberei. Es bleibt ein entscheidender Unterschied, sich Lust lediglich einzubilden und zu demonstrieren oder Lust wirklich zu erleben. Das Erstere braucht die Bühne, das Letztere ist sich selbst Genuss genug.
Luststörungen werden in der Regel als funktionelle Sexualstörungen verstanden, ohne die Ganzheitlichkeit von Körper- und Beziehungslust zu erfassen. In Wahrheit sind Luststörungen aber zumeist Störungen im Denken und in der Beziehung sowie Ausdruck innerseelischer Konflikte. Da können sogenannte Potenzmittel, die schnell und einfachAbhilfe schaffen sollen, zumeist nicht viel bewirken. Meistens handelt es sich dabei um durchblutungsfördernde Mittel, die Erektion und Schwellung der Genitalien verstärken können. So wird z.B. Viagra als großartige Entdeckung gefeiert und dabei übersehen, dass die Verbesserung der Erektionsfähigkeit noch lange nicht verbesserte Lust bedeutet. Die tradierte Einschätzung, dass der steife Schwanz der Inbegriff männlicher Potenz sei, ist symptomatisch für eine Fehlentwicklung, die «orgastische Potenz» und Potenz in Form von Beziehungsfähigkeit nicht wirklich versteht und respektiert. Genau dieser Widerspruch kann für manchen Mann zum ernsten Problem werden, wenn er funktionell gut zur Penetration ausgestattet ist, aber die Ejakulation nicht gelingt und die Beziehung nicht stimmt. Er «kann» körperlich und bleibt dabei seelisch impotent. Voraussetzung dafür, gut ejakulieren zu können, ist zunächst einmal die Fähigkeit, loslassen zu können, und in der Beziehung dann das gute Gefühl, beim Partner willkommen zu sein. Mancher Mann rackert sich schweißtreibend ab, weil er in der Tiefe spürt, dass seine Partnerin desinteressiert, lustlos oder sogar widerwillig den sexuellen Akt nur erträgt. Ejakulation ohne Zustimmung des anderen bleibt hinsichtlich der Lusterfahrung ein «Rohrkrepierer» bzw. ein «Strafschuss».
Erst recht gleicht kein Orgasmus dem anderen. Ich zähle nur einige mir aus der psychotherapeutischen Praxis bekannte Bewertungen des Orgasmus auf: nicht erlebt, kaum spürbar, lustlos, schmerzhaft, traurig,
Weitere Kostenlose Bücher