Die neue Lustschule
verstehende Begleitung bliebe die Reaktivierung früher Not eine starke Bedrohung und muss deshalb unbedingt vermieden werden. Aus dieser Sicht wird auch die problematische Seite der Prostitution erkennbar: Die vorhandene Störung wird entsprechend ausagiert – also wiederholt –, der Betroffene aber der Chance einer reiferen Entwicklung beraubt. Dies ist die negative Seite jeder Droge: Sie dämpft und deckt zu, befriedigt situativ, behindert aber Erkenntnis, Entwicklung und Reifung, die immer auch mit unangenehmen Gefühlen verbunden sind (deren Auftreten Drogen ja gerade verhindern sollen). Auch jede gute Psychotherapie muss zusammen mit dem Patienten herausfinden, wie viel an schmerzlicher Erkenntnis und dadurch möglicher Entwicklung zumutbar sind und wann Ersatzbefriedigung unvermeidbar wird; Letztere sollte dann aber relativ bewusst und kontrolliert gestaltet werden.
Ich plädiere für käuflichen Sex auch aus dem Erfahrungswissen heraus, wie wichtig Triebentspannung und positive Beziehungserfahrungen – auch auf relativ niedrigem Niveau– für die Gesundheitspflege und soziale Friedfertigkeit sind. Wenn Menschen, die sich in einer unglücklichen Beziehung befinden, Ersatz in der Prostitution suchen, macht gerade dieses Ansinnen auf die Mängel und Fehler der partnerschaftlichen Sexualität aufmerksam. Die eigentliche Herausforderung bestünde natürlich darin, die anliegende Partnerschaftsproblematik zu besprechen und in ihren Hintergründen und Zusammenhängen besser zu verstehen, statt nur wegzugehen und Ersatz zu suchen. Aber ich weiß natürlich auch, dass in vielen Fällen eine ehrliche Klärung, verbunden damit, dass jeder der beiden Partner für die eigenen Konfliktanteile Verantwortung übernimmt, nicht gut möglich ist und Heimlichkeiten, die allein verantwortet werden müssen, akzeptable Entlastung ermöglichen, statt dass das Zusammenleben immer nur durch quälenden Streit und kränkende Vorwürfe vergiftet wird. Prostitution bleibt eine wertvolle Notlösung; man sollte darauf aber nur dann ausweichen, wenn wirklich alle Chancen einer partnerschaftlichen Lösung wahrgenommen wurden.
Es gibt deutlich mehr Angebote käuflicher Liebe für Männer als für Frauen. Das hat verschiedene Gründe, aber ein biologischer Unterschied spielt dabei mit Sicherheit eine große Rolle: Die Frau «kann» praktisch immer, der Mann hingegen nur entsprechend seiner «Potenz». Damit spreche ich nur die funktionale und nicht die ganzheitliche Dimension an, bei der Bedürfnis, Lust und Beziehung im Zusammenhang stehen. Biologisch gesehen mag es auch einen Unterschied zwischen männlichem «Zeugungsdruck», verbunden mit polygamen Phantasien, und weiblichem «Brutpflegebedürfnis» und davon beeinflussten Wünschen nach sozialen Beziehungen und Sicherheit geben. Jedenfalls kennt die sexualtherapeutische Praxis eine große Zahl von Partnerschaftskonflikten aufgrund unterschiedlicher sexueller Bedürfnisse.Einmal will der Mann häufiger und die Frau fühlt sich zum «Objekt» degradiert, oder er ist nur an seiner Befriedigung interessiert – kurz und egoistisch –, und sie bleibt mit ihrem Zärtlichkeitsbedürfnis und dem etwas größeren Zeitbedarf, um zum Orgasmus zu kommen, auf der Strecke. Andere Male drängt sie, bietet sich vermehrt an und ist fordernd-dominant, was bei ihm Angst auslöst und zur «Erschlaffung» führt – und dann häufig auch zum Rückzug.
Diese Unterschiede zu regulieren ist wohl die größte Herausforderung für eine sexuelle Partnerschaft. Wenn einer der Partner darunter leidet, dass der andere zu viel will oder zu wenig Lust hat oder dass man selbst so viel soll und muss und keine gute Übereinstimmung mehr zustande kommt, werden in aller Regel unvermeidbare biopsychosoziale Unterschiede benutzt, um unbewussten innerseelischen Konflikten eine benennbare – leider unzutreffende – Begründung zu geben und meistens auch dem Partner die Schuld zuzuweisen. Dann werden via Sex lediglich Defizite an narzisstischer Bestätigung und liebevoller Zuwendung ausgetragen, die die Seele schon längst verletzt haben, mit der Folge, dass sowohl Beziehungslust als auch Körperlust beeinträchtigt werden. Das Wissen um die eigenen Bedürfnisse, die von denen des Partners abweichen, und natürlich die Akzeptanz der eigenen Anteile an entstandenen Konflikten sind die notwendigen Voraussetzungen, um sich über Unterschiede zu verständigen. In einer beziehungsgetragenen Sexualität, die nicht als
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