Die neue Lustschule
Prostitution geächtet und in eine gesellschaftliche Grauzone verbannt, belastet das die hilfreiche Funktion sexueller Dienstleistungen mit der Folge, dass kriminelle Formen nahezu gezüchtet werden.
Ich halte eine legal geregelte und hygienisch kontrollierte Prostitution für eine höchst ehrenwerte Dienstleistung. Es gibt eine große Zahl von Menschen, für die käufliche Sexualität die einzige Möglichkeit zur beziehungsgetragenen Triebregulation ist: alleinstehende, behinderte, kranke und alte Männer und Frauen, gehemmte und beziehungsgestörte Menschen, Partner in Beziehungen, in denen Sexualität nicht mehr möglich ist oder nicht mehr gewollt wird, triebstarke Menschen, die ihren Sexualtrieb in einer Partnerschaft nicht ausreichend abführen können – sie alle brauchen einen akzeptablen Zugang zu sexuellen Möglichkeiten, der soziale Kontakte einschließt.
Die Palette der Motive, sich für kurze Zeit eine körperlichintime Beziehung zu kaufen, ist groß: sexuelle Abreaktion zu ermöglichen, zärtlichen Körperkontakt zu bekommen, Phantasien auszuleben, einen Zuhörer zu finden, bestätigt zu werden, besondere oder tabuisierte Bedürfnisse zu befriedigen und vieles andere mehr. In dieser Hinsicht ähnelt das Liebesgewerbe durchaus der Psychotherapie. Psychotherapeuten verkaufen auch Beziehung – zuhören, sich einfühlen, verstehen wollen, bestätigen, unterstützen – gegen Geld. Und sie wissen auch um die schützende Funktion des Geldes; es bewirkt, dass die angebotene Beziehung bei aller einfühlsamen Nähe doch nicht in zu starkem Maße persönliche Züge annimmt. Abgesehen davon, dass die Therapeuten dies nicht lange aushalten würden, wäre es für den Patienten nur eine erneute traumatisierende Enttäuschung, wenn die aktivierteBeziehungssehnsucht dann doch nicht erfüllt wird. So bleibt es psychotherapeutisch immer eine zentrale und sehr schwierige Aufgabe, zwar eine hilfreiche Beziehung zu ermöglichen, zugleich aber darauf hinzuwirken, das dabei zutage tretende Beziehungsdefizit emotional zu verarbeiten, statt es auffüllen zu wollen.
Auch die käufliche Liebe bietet in einem seriösen Bordell oder Klub einen liebevollen und einfühlsamen Service, wobei aber Geld, Zeit und Kondom den Kontakt begrenzen. Auf diese Weise werden reale Bedürfnisse gestillt, und es besteht die Gelegenheit, Phantasien auszugestalten; gleichzeitig bleibt aber die Begrenzung in Kraft. Dadurch lässt sich auch ein heilsames Realitätsprinzip einüben, derart, dass man als Erwachsener nichts mehr geschenkt bekommt: Alles ist immer schon «bezahlt» oder muss bezahlt werden. Wohl lassen sich unerfüllte kindliche Bedürfnisse beleben und hier und jetzt auch ein wenig stillen; doch zu meinen, dass dadurch doch noch alles gut werden könnte, ist eine gefährliche Illusion. Selbst wenn in der Gegenwart ein in etwa gleichartiges Bedürfnis ein wenig befriedigt wird, werden dadurch frühe Mangelerfahrungen nicht einfach beseitigt. Und lässt man den Enttäuschungsschmerz darüber nicht ebenfalls zu, wächst die Gefahr, dass sich aus der kleinen Befriedigung ein Suchtverhalten entwickelt. So gibt es auch eine Sexsucht, übrigens ebenfalls eine Therapiesucht. Zur «Droge» kann alles werden, das ein wenig Befriedigung, Entspannung und Stimmungsverbesserung ermöglicht, wenn mit dem situativen Rausch nicht auch der «Katzenjammer» akzeptiert wird. Nur das schmerzliche Mangelgefühl erdet und verhindert eine süchtige Steigerung von Bedürfnissen.
Prostitution bedarf sozialer Anerkennung, juristischer Legitimation und einer seriös organisierten Praxis, die das Gewerbe vor kriminellem Missbrauch schützt. Darüber hinauswäre es sehr wünschenswert, eine Ausbildung für die Sexanbieter zu etablieren. Die zu verkaufenden Leistungen sind so vielseitig und anspruchsvoll, vor allem hinsichtlich der Beziehungskultur und der Kommunikationskunst, dass sie häufig eher ungeschickt abgewickelt werden, was nicht nur das «Geschäft» belastet, sondern auch dazu führt, dass wesentliche Ressourcen der Begegnung ungenutzt bleiben.
Prostitution bleibt in aller Regel eine sehr begrenzte Beziehung. Für manche Menschen ist erst durch die Beziehungsdistanz größere Körperlust möglich – als Folge und Symptom früher Ablehnung und Mangelbeziehung. Größere «Herzensnähe» würde das frühe Defizit schmerzvoll aktivieren; aus therapeutischer Sicht kann dies zwar ein sehr wertvoller und hilfreicher Weg sein, aber ohne schützende und
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