Die neue Lustschule
«Schlachtfeld» innerer Defizite und Konflikte missbraucht wird, muss man permanent über bestehende Bedürfnisunterschiede verhandeln und dabei immer auch verzichten und gewähren lernen. Kompromisse sind dann kein Problem mehr, wenn sie im Ergebnis dynamisch bleiben – mal so, mal so –, ohne dass ein Partner ständig benachteiligt würde.
An den biologisch begründeten Unterschieden sexueller Interessen habe ich keinen Zweifel. Eine lustorientierte Sexualität aber kann diese Unterschiede nahezu aufheben. Mann und Frau können in gleicher Weise lustinteressiert sein und sich dadurch wechselseitige Befriedigung ermöglichen. Auf der Lustebene spielen biologische Unterschiede, die mit «Vermehrung» und «Brutpflege» im Zusammenhang stehen, keine wesentliche Rolle mehr. Die Chance auf lustvolle Entspannung und der Wunsch danach sind bei entwickelter Lustfähigkeit meiner Erfahrung nach nicht mehr geschlechtsspezifisch.
Die entscheidende Motivation für regelmäßigen Sex und für die Beziehungspflege ist die Lusterfahrung. Ein Partner, der sexuelle Lust hilfreich unterstützt, ist aller Zuwendung und Bestätigung wert. Deshalb bilden Sex und Beziehung ein wertvolles Junktim.
Das Don-Juan-Syndrom
(Ich ficke, also bin ich)
Die süchtige Eroberung von Frauen ist natürlich eine narzisstische Problematik. Pathologischer Narzissmus ist die Folge frühen «Muttermangels», in Verbindung mit dem tragischen Irrtum, man könne oder müsse sich Liebe verdienen. Das Defizit an mütterlicher Liebe wird nicht als eine schwere Störung der Mutter erkannt, sondern als eigener Unwert fehlgedeutet («Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden»). Diese Selbstabwertung und Selbstbezichtigung sind im Grunde eine Gnade unserer seelischen Funktionen, denn dadurch bleibt die Überlebenshoffnung bestehen, wenn ich mich nur richtig bemühe, meinen «Unwert» zu überwinden, dann komme ich doch noch ins Paradies der Liebe. Dies isteine Quelle für alle Mutterversteher und Mutterbediener, Einfühler und Helfer, die durch Erspüren, Unterstützen und unendliches Bemühen sich Liebe verdienen wollen. Auf diese Weise kann man sehr leistungsfähig und erfolgreich werden, bleibt aber trotzdem in der Tiefe unbefriedigt und ist deshalb in Gefahr, sich immer mehr und mehr anzustrengen und so ein süchtiges Verhalten anzunehmen (Leistungssucht, Geltungssucht, Helfersucht, Erfolgssucht, Arbeitssucht, Sexsucht u.a.).
Sex als Droge eignet sich natürlich besonders gut zur Kompensation früher Beziehungs- und Bestätigungsdefizite, weil Sexualität wenigstens ein Minimum an Kontakt verlangt und zustimmende Anerkennung ermöglicht. Darüber hinaus führt das mit dem Sex verbundene Lusterleben zur nachhaltigen positiven Verstärkung dieses Mechanismus. Deshalb sind Sexsüchtige oft nicht bereit, ihre Obsession auch anzuerkennen. Im Gegenteil, über Sex können sie sich als willkommen erleben, körperliche Nähe erfahren und liebevolle Zustimmung erhalten. Und wenn sich ein «Suchtobjekt» verliebt, wird man noch in besonderer Weise verehrt und begehrt. Es darf sich nur nicht zu viel Nähe, zu viel Verbindlichkeit in der Beziehung entwickeln, dann entstünde die Gefahr, dass die frühe Sehnsucht wieder durchbricht, die ja gerade durch das ständige Erobern unter Kontrolle gehalten werden soll. Deshalb wird der Sexualpartner häufig gewechselt: Eine erfolgreiche Eroberung ist Bestätigung genug und muss durch die nächste Anstrengung abgelöst werden.
Da der frühe Mangel aber niemals wettgemacht werden kann, wird das Streben nach sexuellen Kontakten immer drängender und häufiger. Wer einen potenziellen Sexualpartner schließlich gewonnen hat, der kann seine Unsicherheits- und Minderwertigkeitsgefühle – wenigstens vorübergehend– vergessen und die Energie seiner unerfüllten Bedürfnisse in die sexuellen Aktivitäten einbringen.
Auf diese Weise bekommt der sexuelle Akt eine übermäßige Bedeutung und wird mit narzisstischen Bedürfnissen aufgeladen: Der Wunsch nach Nähe, Annahme und Bestätigung scheint erfüllbar zu sein, und wenigstens einen Moment lang lässt sich das Gefühl, willkommen, erwünscht und bejaht zu werden, gleichsam mit Händen greifen. Dabei spielt meistens der erfolgreiche Eroberungsakt eine größere Rolle als dann der sexuelle Vollzug. Sex wird auf diese Weise zur wesentlichen Selbst- und Lebensbestätigung. Aber aus der sexuellen Beziehung darf keine wirkliche Partnerschaft erwachsen, weil dann die
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