Die neue Lustschule
Lust darf nicht wirklich geweckt werden, weil
er
dann in seinen Bemühungen nachlassen könnte. Und
er
darf nicht erfolgreich sein, weil
sie
dann keinen «Hebel» mehr hätte, sich unendlich bedienenzu lassen, und, was ihre Bedürfnisse anbelangt, selbst aktiv werden müsste. Zudem besteht auch die Gefahr, dass
er
den vermeintlichen Sinn seines Engagements verlöre, wenn
sie
«wach» würde. Dann müsste
er
die eigene unerfüllte Bedürftigkeit spüren und lernen, an sich selbst zu denken.
Erwartungen an den jeweils anderen zu richten und über die unvermeidbare Enttäuschung zu klagen ermöglicht gering dosierten Ersatzschmerz. Und arbeitet man dann noch mit ewigen Vorwürfen – «Wenn du nur …», «Weil du …» –, so bietet das die Chance zu tausendfacher aggressiver Abreaktion. Auf diese Weise wird das frühe Elend aber lediglich chronifiziert und durch gegenwärtige Verstimmungen zusätzlich vermehrt. Es bleibt eine große Tragik, wenn frühes Unglück so verleugnet wird, dass sexuelles Vergnügen und Partnerschaftsglück in der Gegenwart zerstört werden. Nur wenn jeder an sich selbst zuerst denkt, die ihn belastende Vergangenheit anerkennt, Verantwortung für sich selbst übernimmt und die verbleibenden Chancen aktiv nutzt, wird eine «Erlösung» für beide Partner möglich.
Ich will an dieser Stelle über einen weit verbreiteten Irrtum aufklären, der Ausdruck einer klassischen Übertragungsstörung ist. Es geht um die Vorstellung, dass der Mann die Frau befriedigen könne und müsse und dass die Frau von den Fähigkeiten und Qualitäten ihres «Liebhabers» abhängig sei. Ich habe bewusst das etwas altmodische Wort «Liebhaber» gewählt, weil es deutlich macht, dass es in der Beziehungstiefe um «lieb haben» und «lieb gehabt werden» geht. Der Vorstellung liegt ein «Muttermangel-Syndrom» zugrunde mit den beiden Seiten des Problems: auf der einen Seite der Illusion, man könne und müsse sich Liebe verdienen, auf der anderen Seite die nicht erfüllbare Erwartung, durch die Liebe eines Partners wirklich «geheilt» werden zukönnen, ohne die frühen Defizite erkennen und mühevoll verarbeiten zu müssen.
Mangelnde Mutterliebe wird vom betroffenen Kind in aller Regel nicht als Problem und Störung der Mutter erkannt, sondern so erlebt, als sei man selbst der Zuneigung und aufgewendeten Zeit nicht wert. Daraus erwächst das schon erwähnte «Mutterversteher» und «Mutterbediener-Syndrom». In der Regel sind es die Männer, die aufgrund eines narzisstischen Defizits glauben, sie müssten und könnten die Frauen befriedigen. Deshalb hält sich auch so hartnäckig der Mythos, ein großer Penis sei wichtig und man müsse sich kräftig ins Zeug legen, um die Frau richtig zu bedienen. Sicher gibt es große Unterschiede, was im Einzelnen gefällt und für die Erregung hilfreich ist. Dabei spielt aber Einfühlung in die Bedürfniswelt des Partners stets eine größere Rolle als wildes Gefummele und Gestoße. Auch bedeuten hilfreiche sexuelle Praktiken nicht schon gleich Macht über das Erleben des anderen. Hilfreich oder hinderlich kann vieles sein, deshalb sollte man sich über Angenehmes und Unangenehmes austauschen: wie man sich berührt, wann und wo, welche Stellung bevorzugt wird, Aktivität, Passivität, Rhythmus, Heftigkeit oder Weichheit der Bewegungen und vieles mehr. In der sensorischen Phase «orgastischer Potenz» kann der Partner sehr hilfreich oder auch sehr hinderlich sein. Das ist eine Frage der Kommunikation und Abstimmung. Die motorische Phase der Lust hingegen – die orgastische Entladung – kann nur zugelassen und nicht delegiert werden; es geht darum, sich dem unwillkürlichen muskulären Geschehen und energetischen Strömen zu überlassen. Wie gesagt: Kein Mann kann einer Frau den Orgasmus machen. Über Hinderliches oder Hilfreiches muss die Frau den Mann informieren und aufklären, aber das Loslassen liegt allein bei ihr.
Die Hingabestörung einer Frau hat schon viele Männer an ihrer Potenz zweifeln und schließlich in ihrem Mann-Sein verzweifeln lassen. Das sind spezifische Spätfolgen frühen Muttermangels. Und kollusiv dazu glauben tatsächlich manche Frauen, dass der Mann sie befriedigen müsse; wenn sie keinen Höhepunkt erreichen, könne es nur an ihm liegen. Das ist die andere Seite des narzisstischen Mangelsyndroms. In der verständlichen Sehnsucht, doch noch die richtige Zuwendung zu bekommen, werden Erwartung und Hoffnung auf den Partner projiziert und die eigene
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