Die neue Lustschule
liegende ökonomische Vorteile nicht ausreichen, ein besseres Verständnis und eine tolerantere Einstellung zu fördern, muss man für die ablehnende Haltung gegenüber einer solchen Liberalisierung des Lusterlebens wohl die nach wie vor grassierende Lustfeindlichkeit verantwortlich machen. An Erleichterungen und gute Voraussetzungen für das Lusterleben anderer denkt zuletzt, wer damit selbst seine Schwierigkeiten hat.
Die notwendigen sozialen Hilfen sind vergleichbar mit den Unterstützungen, die Jugendliche brauchen: vor allem Verständnis sowie Raum und Zeit für zärtliche, erotische und sexuelle Kontakte. Konkret könnte das etwa zu einem «Pflegeberuf für zärtliche und sexuelle Dienste» führen.
3. Die sexuelle Not in Partnerschaften
Meiner Einschätzung nach handelt es sich dabei um die größte Gruppe mit sexuellen Problemen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Störungen der Körperlust und der Beziehungslust verstärken sich wechselseitig. Unterschiedlichesexuelle Interessen und Bedürfnisse, über die nicht gesprochen wird, chronifizierte Beziehungskonflikte, die nicht verstanden und nicht gelöst werden, Alltagsstress und reale Lebensbelastungen, die den Freiraum für Freizeit und Intimität einengen, belasten das sexuelle Zusammenleben.
Jeder Betroffene sollte sich in der Pflicht sehen, sein Problem zu fokussieren, etwa nach dem «Strickmuster»:
«Ich habe keine Lust, weil …» oder:
«Ich will jetzt Sex, weil …»
Die jeweiligen Begründungen sollten nicht die Form von «…, weil du …» haben, also zu keinem Vorwurf, keinen Erwartungen und keinen Schuldzuweisungen an den Partner führen, sondern die eigene Problematik erfassen.
Beispiele:
Ich habe keine Lust, weil ich
• zu müde bin.
• Sorgen, Ärger habe.
• mich nicht gut behandelt fühle.
• mich bedrängt fühle.
• Kränkung befürchte.
• dich bestrafen will.
• Versagen fürchte (z.B. vorzeitiger Samenerguss, kein Orgasmus u.a.).
• dich nicht mehr liebe.
• enttäuscht von dir bin.
• mich als nicht wirklich gemeint erlebe.
Und, und, und …
Ich will jetzt Sex, weil ich
• Druck habe.
• mich entspannen möchte.
• mich abreagieren muss.
• bedürftig bin.
• dich bestrafen will.
• Macht und Kontrolle über dich brauche.
• mich beweisen muss.
• das für mein Selbstbewusstsein brauche.
• Zuwendung und Zärtlichkeit suche.
• wissen will, ob du mich noch magst.
• bestätigt haben will, dass ich von dir abgelehnt werde.
Und, und, und …
Mit solchen «Ich …, weil …»-Aussagen, die in der Psychotherapie Fokalsätze genannt werden, weil sie den Fokus eines Problems schnell und präzise bestimmen, übernimmt der Agierende Verantwortung für seine Einstellung oder sein Handeln und schafft damit erste Voraussetzungen für Verständnis, Verhandeln und Kompromisse. Oder es werden in den Aussagen aufgestaute und hintergründige Konflikte erkennbar, die sich im sexuellen Agieren nur symptomatisch abbilden, aber als Lebens- oder Beziehungskonflikte zu verstehen und zu lösen sind.
Wenn Sex zur Qual wird, verhindert ein unerkanntes Leiden befreiende Lust oder Befreiung durch Lust! Dann hilft nur eins: die «Qual» zu identifizieren, zu verstehen und so gut wie möglich zu vermindern, um wenigstens wieder etwas sexuelles Vergnügen zu finden, das der Qual standhält.
Die sexuellen Bedürfnisse von zwei Menschen unterscheiden sich stets hinsichtlich Motivation, Häufigkeit, Art und Weise des praktischen Vollzuges. Diese völlig normale Verschiedenheit ist nahezu eine Einladung, alle möglichen inneren Spannungen und Unzufriedenheiten daran festzumachen und dabei das Menschenrecht auf sexuelle Aktivität und Selbstbestimmung des eigenen Sexualverhaltens ausschließlichfür sich selbst in Anspruch zu nehmen. Im Streitfall sind gewöhnlich beide Partner im Recht; allerdings ahnen sie meistens nicht, dass ihre Argumente pro oder contra Sex lediglich Symptome sehr viel tieferer, grundsätzlicherer Konflikte sind oder ihnen auch gänzlich andere Motive zugrunde liegen können, die mit Sex wenig zu tun haben müssen. Sex bietet sich als Vorwand für die Austragung tieferer Konflikte besonders an, weil er so nah, so intim, so körperlich und so emotional vollzogen werden muss, dass es leicht zu Irritationen kommt. Auf diese Weise wird aber auch eine wesentliche Grundlage guter Partnerschaft belastet und zerstört – was ich für eine besondere Tragik halte, weil dadurch das
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