Die neue Lustschule
Auswirkungen besser und kompetenter umzugehen. Ein Frühgestörter kann lernen, die ehemals erfahrene Lebensbedrohung von gegenwärtigen – auch durchaus real bedrohlichen – Ereignissen zu differenzieren und realitätsgerechter zu reagieren. Ein Mensch mit Liebesmangel kann lernen, seine ungestillte und heute unstillbare Bedürftigkeit zu erkennen und aktuelle reale Möglichkeiten von Liebesbestätigung nicht abzuwerten; nicht länger in ein süchtiges «Mehr … und mehr … und mehr» zu verfallen, sondern auch die geringere Erfüllung wertzuschätzen und zu genießen. Dieses Prinzip lässt sich auf alle Folgen von Frühstörungen anwenden, auch auf Bindung, Identität und den Selbstwert. Immer handelt es sich um einen therapeutischen Dreischritt:
• die Geschichte der Frühstörung erinnern und erkennen (tiefenpsychologischer bzw. psychoanalytischer Weg);
• die frühen psychosozialen Verletzungen und Defizite emotional verarbeiten (körperpsychotherapeutischer Weg der Gefühlsarbeit);
• die heute gegebenen Möglichkeiten erkennen, nutzen, üben und ausgestalten (verhaltenstherapeutischer Weg).
So sind meine therapeutischen Erfahrungen zu einem «multimodalen» Verständnis der psychotherapeutischen Methoden zusammengewachsen. Ein Methodenstreit um die bessere Wirksamkeit wird dadurch überflüssig. Stets geht es darum, den Weg herauszufinden, auf dem ein Mensch hilfreich für sich arbeiten kann, sowie Verstehen, Fühlen und Handeln möglichst zu integrieren, auf welchem Niveau auch immer.
Nach umfassenden Leitbildern für dieses Verständnis gefragt, würde ich drei nennen:
• Der seelische Schmerz ist das Tor zu neuem Leben.
• Erst Fühlen, dann handeln.
• Ohne Übung keine Entwicklung.
In einer Beziehung, in der die Partner einander zugewandt sind, bietet Sex großartige Möglichkeiten, trotz «Frühstörungen» ein lustvolles und entspanntes Leben zu führen. Über das gegenwärtige Lusterleben hinaus bietet Sex immer auch eine begrenzte Erfüllung früher Bedürfnisse. Über Sexualität kann man sich gewollt, gemeint, bestätigt und geliebt erleben. Im sexuellen Erregungsrausch ist die Befriedigung narzisstischer Grundbedürfnisse ohne Weiteres möglich, etwa mit Sätzen wie: «Ich liebe dich!»; «Ich mag dich!»; «Du gefällst mir!»; «Du bist gut!»; «Du bist attraktiv und begehrenswert!» Das sexuelle «Objekt» sieht man sich immer schön, auch fernab der Maßstäbe des Zeitgeistes. «Weil du für mich da bist, weil du mich in meinem Verlangen bestätigst, bist du schön!» Diese liebevolle Realitätskorrektur ist eine Gnade unseres Seelenlebens. Das ganz subjektive Erleben bedingt auch einen ganz individuellen Geschmack – über den man dann auch tatsächlich nicht mehr streiten kann – und hilft über die körperlichen Besonderheiten undGebrechen, über die Altersfalten und die seelischen «Macken», auch über die sozialen Eigenheiten der Menschen hinweg. Sexualität ist ein Königsweg zur Lebensqualität wider alle künstlichen und zumeist hochneurotischen Werte und Ideale der Mode, des Zeitgeistes, des Marktes generell. Und der Orgasmus erdet die hilfreiche Verkennung, mit anderen Worten, die Realität setzt sich wieder durch – und doch bleibt eine dankbare Zuneigung aufgrund der erlebten Befriedigung und Entspannung.
Deshalb ist das Bemühen um eine lustvolle Sexualität in einer liebevollen Beziehung unter allen Umständen eine lohnende Aufgabe, mit der Chance, dass man trotz aller seelischen Not Augenblicke von Lebensfreude und glücklicher Zufriedenheit erlebt. Der Austausch und die Akzeptanz von Gefühlen, das Verstanden- und Gebraucht-Werden und ganz besonders die erarbeitete sexuelle Lust können eine Partnerschaft zur therapeutischen Insel machen. Andere Räume, die sich so intim, offen und ehrlich gestalten ließen, gibt es nicht. Selbst eine kompetente Therapie bleibt hinter dieser Möglichkeit zurück, da ihr die ganz persönliche Beziehung und die Sexualität notwendigerweise verschlossen sind. So kann man eine Partnerschaft zum zentralen Therapeutikum machen, anfangs noch mit Hilfe eines Experten, doch mit dem Ziel, diese Fürsorge so bald und so gut wie möglich in eigener Verantwortung und Regie auszuüben.
Erfahrungsgemäß lässt sich dabei ein befriedigender Zustand nicht ohne energetische Verschiebung des belastenden Problems erreichen. Das heißt, die gewonnene Zufriedenheit, das erreichbare kleine Glück, bewirkt an anderen Stellen und
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