Die neue Rasse
nie wieder kommen.
Nicht nach dem, was in der vergangenen Nacht geschehen war. Als ihn, Zebuion, jener Purpurstaub getroffen hatte, der aus dem Nichts herangeweht und nur für ihn zu sehen gewesen war. Wie feingemahlenes Glas war er in jede einzelne Pore seiner Haut gedrungen, hatte ihn vor Schmerzen beinahe umgebracht - und ihn doch nur in purpurfarbene Wogen der Besinnungslosigkeit gehüllt.
Purpur .
Jene Farbe, die in der bisherigen Geschichte der Alten Rasse stets für neues Leben gestanden hatte, weil die Macht des verlorenen Lilienkelches sich damit geschmückt hatte, schien Zebuion plötzlich gleichbedeutend mit dem Gegenteil .
Irgendwann war er erwacht, und seine Sippe hatte um ihn her gebrüllt vor Durst, den er als einziger nicht verspürte.
Sie waren ausgezogen, ihn zu stillen. Erfolglos, wie ihre Rückkehr nach Stunden zeigte .
Zebuions Blick schweifte hilflos über die Sippe, und er konnte sich an die Geburt eines jeden einzelnen von ihnen erinnern. Daran, wie er sie vor Jahrhunderten, als New York noch Neu-Amsterdam geheißen wurde, als Menschenkinder geraubt hatte. Wie der Kelchhüter ihnen Zebuions schwarzes Blut aus dem Lilienkelch eingeflößt hatte. Wie sie gestorben waren, um als Vampire wieder zu erwachen.
Es schien Zebuion selbst eigenartig, daß seine Gedanken gerade jetzt wieder und wieder um den Kelch kreisten, der doch seit fast drei Jahrhunderten verschwunden war und .
»Zebuion!«
Der Ruf erlangte nur dadurch Kraft, daß er sich an den Wänden ringsum brach und seine Echosplitter sich dutzendfach neu aneinanderfügten. Die Stimme dahinter war ebenso müde, wie es jeder einzelne zu seinen Füßen sichtlich war.
Zebuion hob den Kopf; die Erinnerung an Vergangenes wich der entsetzlichen Gegenwart. Aus dem Hintergrund des Saales, der früher einmal als Rangierhalle für U-Bahnzüge gedient hatte, näherte sich jemand seinem erhöht stehenden Thron aus Stein, Metall und Knochen. Es war Zaccharias, wie Zebuion erkannte, und er schien nicht minder entkräftet wie alle anderen. Aber doch hielt ihn irgend etwas auf den Beinen und trieb ihn regelrecht vorwärts.
Vor den Stufen, die zu Zebuions Sitz hochführten, blieb der Vampir stehen, schwankend wie ein Halm im Wind, die vor Stunden noch so jugendlichen Züge jetzt faltig und runzlig wie die eines Greises. Anklagend streckte er den Arm nach seinem Führer aus.
»Du!«
Wieder steckte kaum Kraft in dem Wort, doch Zebuion konnte sie trotzdem spüren, weil sie noch tief in Zaccharias war, ohne sich Bahn schaffen zu können.
»Du bist schuld!«
»Woran?« fragte Zebuion, obwohl er sehr wohl wußte, was Zac-charias meinte. Jeder Blick gemahnte ihn daran. Jeder einzelne, grauenhafte, entsetzliche, niederschmetternde Blick!
»Leugne es nicht. Du weißt genau, was ich meine«, zischte Zaccha-rias, und Zebuion wunderte sich, woher er die Kraft nahm, die in seinem Blick funkelte. Die Antwort war einfach: Wut war ihre Quelle. Haß auf ihn, Zebuion ...
»Du bist der einzige, der nicht befallen ist«, ergänzte Zaccharias, ohne zu wissen, was Zebuion gedacht hatte. »Warum trifft sie dich nicht, diese . diese Seuche, die in uns unstillbaren Durst schürt? Die uns ausspeien läßt, was uns Kraft geben sollte!«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Zebuion vermeintlich wahrheitsge-treu. Denn die Stimme, die in ihm flüsterte: Doch, du ahnst es!, ignorierte er.
»Wir alle«, - Zaccharias' Arme wiesen umher und meinten jeden Vampir, der sich hier befand - »sind von deinem Blut. Wer weiß, vielleicht war etwas darin, das sich erst jetzt entfaltet hat und uns alle in Verdammnis stürzt«, meinte Zaccharias und ahnte nicht, wie nahe er der Wahrheit damit kam.
Vielleicht konnte er es erkennen, in dem erschrockenen Blitzen, das sekundenlang in Zebuions Blick flirrte, ehe er es unter Kontrolle gebracht hatte. Die Erkenntnis, von Zaccharias' Worten genährt, keimte in dem Sippenoberhaupt. Doch Zebuion war nicht imstande, sie wirklich zu verstehen. Er sah Teile eines Bildes in sich, die offenbar zueinander paßten, doch es klafften zu große Lücken dazwischen, als daß er es in seiner Gesamtheit hätte erkennen können.
»Du solltest teilhaben an unserer Verdammnis!« keifte der Vampir am Fuße des Thronpodestes weiter. »Wir waren immer eins, haben alles geteilt - warum nicht auch das Ende?«
»Du wagst es, mir zu drohen?« brüllte Zebuion und erhob sich. »Den Kodex unserer Rasse zu brechen?«
Das Oberhaupt der Sippe verfiel in abgrundtief böses
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