Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
äthiopischen Truppen und in den Tagen der Invasion und der Vertreibung der Islamisten aus Mogadischu â was die Stadt kurzfristig aufleben lässt. Das Geschehen verteilt sich auf zwei Schauplätze: auf Mogadischu und auf das nördliche Puntland, die Piraten-Hochburg am Golf von Aden.
Mogadischu wird zu Beginn nicht mehr von den ewig drogenbenebeltenClan-Milizen kontrolliert, sondern von weià gekleideten bärtigen Islamisten, die mit der Pferdepeitsche in der Hand ihre eigene Schreckensherrschaft etabliert und die Scharia durchgesetzt haben. Sie haben alle Frauen unter das afghanische «Körperzelt», die Burka, gezwungen und schikanieren sie nun nach Gutdünken. Theater und Kinos sind ebenso verboten wie Musik in den Teehäusern. Männer, die in StraÃencafés FuÃball gucken, werden gelegentlich erschossen. Es herrscht verschärfter Terror: Es sind fast so viele Kalaschnikows wie SIM-Karten im Umlauf. Die Mordquote ist hoch, die Attentatswillkür groÃ. Jeden in Mogadischu kann es jederzeit treffen: UN-Angehörige werden ebenso wahllos getötet wie Friedensaktivisten, Mitarbeiter von «Ãrzte ohne Grenzen» oder ausländische Journalisten. Gleich eingangs wird ein blutjunger Rekrut vom militärischen Flügel der «Union islamischer Gerichte» ausgeschickt, um ein «Sicheres Haus» in Mogadischu zu requirieren. Der Junge besetzt das falsche Haus und trifft dort auf einen alten Mann, der sein GroÃvater sein könnte. Der Irrtum kostet sie beide das Leben: Die Islamisten zögern keinen Augenblick, sie zu erschieÃen. Anführer ist übrigens der weià gekleidete bärtige Herr aus dem Computerladen.
Damit ist der Ton des Romans gesetzt: Es ist eine Stimmung nihilistischer Hoffnungslosigkeit. Nuruddin Farahs Thema ist die absolute Nichtigkeit und Zwecklosigkeit des Leidens der Menschen in Somalia. Der Bürgerkrieg wütet um des Wütens willen. Und er wird weiterwüten, solange noch irgendjemand daraus Profit schlägt. Die Region erscheint als eine Arena für Stellvertreterkriege und GroÃmachtrivalitäten, erst recht nach der Invasion der Ãthiopier, hinter denen die Amerikaner stehen. Die Hoffnung auf Rettung durch Kinder oder Frauen hat sich erledigt, Somalia ist endgültig zum Austragungsort globaler Konflikte geworden, zur Operationsbasis für weltumspannende Kriminalität und zur Freistätte der Gesetzlosigkeit: Hier können straflos internationale Schandtaten begangen werden â sie bleiben ungeahndet.
Hierher strömen die Armutsmigranten aus dem Innern Afrikas, um von Puntland aus in Fischer- und Schlauchbooten nach Jemen hinüberund weiter nach Europa geschleust zu werden (sofern man sie nicht vor der Küste Jemens ins Wasser wirft). Hier wird der nukleare und chemische Giftmüll der industrialisierten Welt illegal entsorgt (was der Unterwasserflora und -fauna vor der somalischen Küste den Garaus macht â der Tsunami von 2004 hat diese Zerstörungen zutage gefördert). Und die Piraterie mag als Notwehr arbeitsloser somalischer Fischer begonnen haben, deren Fischgründe von Trawlern aus Korea, China, Japan, Russland oder Europa leer geplündert worden sind: Inzwischen haben transnationale Netzwerke aus Politikern und Kriminellen (unter Beihilfe der Islamisten) das Kaperungs-, Geiselnahme- und Lösegelderpressungsgeschäft übernommen, an dem eher die Hintermänner, Schiffsversicherer und Anwaltskanzleien, verdienen als die lokalen Piraten. Denen fällt zwar der gefährlichste Part zu, die wochen- und monatelange Besetzung und Bewachung gekaperter Schiffe, dafür aber werden sie laut Nuruddin Farah mit einer Handvoll Dollars abgespeist. Der Roman versucht, die gängige Darstellung der internationalen Medien zurechtzurücken, wonach die Piraterie die «New Economy» eines boomenden Puntland sei.
Nach dem Frauenroman «Netze» stehen in «Gekapert» nun wieder die Männer im Mittelpunkt. Drei Exil-Somalis aus den USA bestimmen das Geschehen. Jeebleh, der noble Professor für italienische Literatur, den wir aus «Links» kennen, hat einen abermaligen Auftritt. Diesmal begleitet er seinen Schwiegersohn Malik, einen halbsomalischen Kriegskorrespondenten mit Basis in New York, nach Mogadischu. Der Journalist will über die kritische Lage, über Krieg und Armut in Somalia berichten und die Hintermänner und Geldströme der Piratenindustrie
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