Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
Vom Netzwerk:
recherchieren. Außerdem beteiligt er sich an der Suche nach seinem verschwundenen Neffen, nach dessen Verbleib gleichzeitig Maliks älterer Bruder in Puntland forscht. Der Teenager aus Minnesota hat sich offenbar den Shabaab-Milizen angeschlossen: Ein fanatischer Imam in Minnesota hat ihn und eine Handvoll anderer Jugendlicher als Selbstmordattentäter rekrutiert. Vermutungen und Theorien über die Gründe für solche Radikalisierungen gebildeter junger Leute aus dem Westen füllen nicht wenige Romanseiten. Diese Passagen, wie auch die steifleinenen Dialoge, die viel angelesenes Zeitungswissentransportieren, verleihen dem Roman stellenweise eine papierene Leblosigkeit.
    Vor allem aber begleitet der Roman Malik auf seinen Recherchetouren und zu seinen Interviews mit Strippenziehern des Menschenschmuggels und Hintermännern des Piratengeschäfts. Eine höchst dubiose Reihe von dunklen Ehrenmännern mit abenteuerlichen, vielleicht zusammengelogenen Biographien hat da ihren Auftritt. Je mehr diese Krisengewinnler von ihren Aktivitäten preisgeben und sie zu rechtfertigen versuchen, desto undurchschaubarer werden sie. Maliks Gesprächspartner wollen ihn für ihre Propagandazwecke instrumentalisieren: Sie wollen ihm ihre geschönte Version ihrer Machenschaften aufschwätzen und so ihr eigenes, vorteilhaftes Narrativ in der Weltpresse platzieren. Malik aber bleibt skeptisch, erhält Morddrohungen und wird schließlich tatsächlich Opfer eines Attentats.
    Somalia erscheint in «Gekapert» als Spielball globaler Macht- und Geschäftsinteressen. Der zynischen und gefährlichen Außenwelt der Politik stellt Nuruddin Farah die intime Innenwelt des Familien- und Freundeskreises der drei Exil-Somalis gegenüber. Die Freunde und Verwandten in der Stadt bilden ein kleines, aber verlässliches Netzwerk, das den Besuchern Zuflucht, Schutz und Rückendeckung bietet. Ihre Wohnungen in Mogadischu und Bosaso, Puntland, sind Rückzugsorte des Friedens und der Erholung für die Heimkehrer. Hier dürfen sie sich einigermaßen sicher fühlen, geschützt vor der Anarchie auf den Straßen.
    Es wird nicht nur viel und bedeutungsvoll geträumt in Farahs Romanen; es wird auch viel und nahrhaft gekocht. Eigentlich ist es vornehmlich die Beschreibung der Mahlzeiten, die im Roman für atmosphärische Dichte und Sinnlichkeit sorgt. Die Küche ist nicht bloß Kraftquelle und Erquickungsort privater Freundschaften; die Sorgfalt und Geduld bei der Bereitung von Mahlzeiten sind auch eine kulturelle Demonstration. So erweist sich die Küche als zivilisatorischer Gegenort zur Bestialität draußen, als Hort einer menschenfreundlichen Ordnung im allgemeinen Chaos. Andere und größere Hoffnungsbilder für Somalia hat Nuruddin Farah am Ende seines elften Romans nicht mehr anzubieten. «Somalische Männer sind selten imstande, den Alltag zubewältigen», stellte er in einem Interview fest. «Viele können nicht einmal kochen: Töten ist ja viel leichter als Kochen.»
    Erwähnte Romane von Nuruddin Farah
    Â«Geheimnisse» (Suhrkamp 2000)
    Â«Duniyas Gaben» (Suhrkamp 2001)
    Â«Links» (Suhrkamp 2005)
    Â«Netze» (Suhrkamp 2007)
    Â«Gekapert» (Suhrkamp 2013)
    Â 
Ng ũ g ĩ wa Thiong’o: Der Chronist des korrupten Kenia
    Am Anfang von NgÅ©gÄ© wa Thiong’os internationaler Karriere – als Universitätslehrer, Intellektueller, Kultur- und Literaturwissenschaftler und einer der renommiertesten Autoren des subsaharischen Afrika – steht ein Pakt zwischen Mutter und Sohn. Eines Abends im Jahr 1947, NgÅ©gÄ© war neun Jahre alt, fragte ihn seine analphabetische Mutter: «Möchtest du zur Schule gehen?»
    Das verschlug dem Jungen zunächst die Sprache, doch dann schloss er mit seiner Mutter ein Abkommen: So schwer es für die Mutter sein mochte, das Schulgeld aufzutreiben und für eine Schuluniform zu sorgen, so sehr würde der Sohn sich anstrengen, immer sein Bestes zu geben und so gut zu lernen, wie es ihm nur überhaupt möglich war. Er würde ihr keine Schande machen und niemals aufgeben, versprach er der Mutter, auch wenn sie ihn warnte, dass das Geld wohl nicht immer für ein Schulmittagessen reichen und er manchmal würde hungern müssen. Ihre so strenge wie ängstliche Frage «Ist das das Beste, was du erreichen konntest?» wird den Sohn durch seine gesamte Schulzeit begleiten.

Weitere Kostenlose Bücher