Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
und der schwarzafrikanischen â als wacher Beobachter miterlebt und in seinen Prosawie auch seinen Film- und Theaterarbeiten kritisch thematisiert. Früher als die gebürtigen und eingesessenen Briten erkannte Hanif Kureishi, was die längste Zeit bereits vor aller Augen geschah, was den Briten aber erst im Nachhinein in seiner ganzen Tragweite bewusst wurde.
Kureishi schreibt: «Beinahe blindlings hatte ein revolutionäres, beispielloses Sozialexperiment stattgefunden. Erst in den 1980er Jahrenwurde sich GroÃbritannien des Wandels bewusst; das Land hatte sich von einer monokulturellen in eine multiethnische Gesellschaft verwandelt und kam nun endlich zu der Erkenntnis, dass es kein Zurück gab. Das Projekt bestand darin, nach dem Ende des British Empire und auf der Basis von Masseneinwanderung eine überwiegend weiÃe in eine rassisch gemischte Gesellschaft zu verwandeln und damit ein neues Bild dessen zu entwerfen, was aus GroÃbritannien geworden war und wohin es sich entwickelte.»
Was von Hanif Kureishi erahnt und auch bereits in Umrissen erkennbar wurde, war eine neue soziale Gruppe, die sich jenseits der traditionellen Konzepte von Multikulturalität zu formieren begann; eine neue soziale Gruppe, die ihre ethnische Ambiguität als besonderes Kennzeichen empfand. Statistiker stellen fest, dass sich inzwischen fast eine Million junger Briten als Angehörige von mehr als einer Ethnie definieren. Multiethnische Diversität ist ein Merkmal des modernen GroÃbritanniens geworden. «Ethnisch gemischt» ist derzeit die drittgröÃte ethnische Minderheit im Lande und wird im Laufe dieses Jahrzehnts zur gröÃten Gruppe werden â eine melierte Jugend wächst heran. Sie ist eine Avantgarde. Melange ist ihr Stichwort. Für sie ist Ethnizität bereits ein veraltetes Konzept, das nicht mehr greift und daher als sozialer Indikator bedeutungslos geworden ist.
Freilich gibt es Ungleichzeitigkeiten. Nicht jeder hat Grund, Hanif Kureishis Optimismus im Hinblick auf eine glückliche multiethnische Melange zu teilen. Kureishis um sieben Jahre älterer Autorenkollege Salman Rushdie etwa erlebte den soziokulturellen Wandel in GroÃbritannien auf ähnliche Weise wie dieser, zog aber etwas andere und weniger optimistische Schlüsse daraus. Rushdies Laufbahn â bevor die Fatwa Ayatollah Khomeinis bei ihm einschlug â weist mancherlei Ãhnlichkeiten mit der Karriere Hanif Kureishis auf, vor allem in der Widersprüchlichkeit von privilegiertem Künstlerstatus bei gleichzeitigem Statusverlust seiner Familie. Rushdies Familie gehörte wie der Kureishi-Clan der indisch-muslimischen kolonialen Elite an, und ebenso wie dieser verlor sie binnen zwei Generationen alles. Rushdies GroÃvater mit dem prächtigen Namen Khwaja Muhammad Din Khaliqi Dehlavi war ein erfolgreicher Industrieller in
Old Delhi,
ein Textil-Magnat, der früh starb, aber seinem einzigen Sohn Anis Ahmed ein Vermögen vererbte.
Anis Ahmed, so erzählt es sein Sohn Salman Rushdie in seiner Autobiographie «Joseph Anton», tat in seinem Leben zwei bemerkenswerte Dinge: Er änderte den Zungenbrecher-Nachnamen der Familie und nannte sich «Rushdie» aus Bewunderung für den spanisch-arabischen Philosophen Ibn Ruschd, den der Westen als Averroës kennt; und er verprasste und verschleuderte das gesamte, von seinem Vater ererbte Familienvermögen und endete als erfolgloser Geschäftemacher und Alkoholiker in Karachi. Sein Vater sei reich gewesen, schreibt Salman Rushdie, «doch brachte er sein Leben damit zu, all das Geld auszugeben, und er starb verarmt, blieb seine Schulden schuldig und hatte ein Bündel Rupienscheine in der oberen linken Schublade seines Schreibtisches, mehr an Bargeld war ihm nicht geblieben».
Der Bildungsweg von Vater und Sohn Rushdie, beide Absolventen der Universität Cambridge, entsprach allerdings noch völlig den Gepflogenheiten der indischen kolonialen Oberschicht, die ihre Söhne traditionellerweise in englische Privatschulen und Elite-Universitäten schickte. Salman Rushdie begann seine britische Erziehung 1961, mit dreizehn Jahren, am Nobel-Internat Rugby, wo er die Aufnahmeprüfung mit Auszeichnung bestand. Sein privilegierter Einstieg in die Gesellschaft GroÃbritanniens bewahrte ihn freilich nicht vor versnobten Formen eines gehobenen Rassismus.
Der Neuling in Rugby fand schnell heraus, «dass man in einem
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