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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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der zweiten Generation. In dieser Literatur, geschrieben vornehmlich von nicht-weißen Briten, erforscht die britische Gesellschaft ihr koloniales Gedächtnis und ihre multiethnische Gegenwart. Autoren wie NadeemAslam oder Monica Ali beschäftigen sich in ihren Büchern eingehend mit den Lebensumständen der bedrängten Zuwanderer in den pakistanischen und bengalischen Armutsenklaven Englands, in denen Segregation, nicht Integration die tägliche Praxis war. Und auch Hanif Kureishi umkreist in einigen seiner Romane das Leben pakistanischer Einwanderer und ihrer Kinder, von den harten Jahren unter Margaret Thatchers restriktiver Regierung bis hinauf in eine – zumindest in manchen Milieus – tolerantere Gegenwart, in der der Übergang von kultureller Segregation zu Multikulturalität auf die politische Tagesordnung kam und sich bereits Tony Blairs Konzept des «Inclusive Britain», der ethnischen und sozialen Inklusion, durchzusetzen begann.
    Hanif Kureishi selbst fand in den 1980ern, seinen Anfangsjahren als aufstrebender Erzähler, Dramatiker und Drehbuchautor, bereits recht entspannte Startbedingungen vor. Die Welt der Künste schien – anders als die übrige Arbeitswelt – auf einen wie ihn geradezu gewartet zu haben. Sie sah in ihm einen schrägen und unverklemmten Exoten, der ihr die pop-, sex- und drogengeschwängerte Subkultur zugänglich und konsumierbar machte und sie auf den Geschmack der folkloristischen Reize indo-pakistanischer Kultur brachte. Kureishis Karriere schien leicht, ein Selbstläufer. Sein Drehbuch für den Film «Mein wunderbarer Waschsalon» wurde 1984 sofort für den Oscar nominiert, und sein Romandebüt «Der Buddha aus der Vorstadt» wurde 1990 mit dem Whitbread Prize für den «Besten Erstlingsroman» ausgezeichnet, in zwanzig Sprachen übersetzt und von der BBC als Fernsehserie verfilmt.
    Vor allem in der Jugendszene, in der Kunst-, Musik- und Modewelt galten Asiaten jetzt als «cool». Ethno-Folklore war angesagt. Plötzlich wurden Kureishi und seinesgleichen als modisch, exotisch und hip angesehen, und die junge britisch-asiatische Literatur war jedermanns Darling, vor allem nach dem literarischen Durchbruch Salman Rushdies im Jahr 1981 mit dem Roman «Mitternachtskinder», einer funkelnden orientalischen Erzählmaschine, die der Zeitgeist nicht zuletzt wegen des Folklore-Faktors ins Herz schloss. Es sei nicht damit zu rechnen gewesen, schreibt Hanif Kureishi voll nachträglichen Erstaunens, «dass es einmal eine britisch-asiatische Literatur gebenund dass die Lebensweise der Einwanderer die Wirklichkeit in Großbritannien auf dem Umweg über die Kultur durchdringen würde, um erst in Mode zu sein und später von anderen Ethnien abgelöst zu werden».
    Dort, wo Kureishi senior als entwurzelter pakistanischer Migrant mit unansehnlicher Berufslaufbahn und als erfolgloser Autor unveröffentlichter Bücher das Gefühl haben musste, in England trotz aller Anstrengungen stecken geblieben und gescheitert zu sein, hat sein Sohn sich scheinbar mühelos durchgesetzt. Immer wieder vergleicht Hanif die Kämpfe seines Vaters, dessen Ängste, Hoffnungen und unerfüllte Wünsche nach Integration, Erfolg und Ansehen, mit seinen eigenen ungleich üppigeren Lebensperspektiven. Der Sohn hat es weiter gebracht als der Vater, und er schreibt immer im vollen Bewusstsein, an Vaters statt selbst der erfolgreiche Schriftsteller geworden zu sein. So gesehen, ist das Erinnerungsbuch an den Vater auch als schriftstellerisches Konkurrenzunternehmen angelegt.
    Das Zufluchtsland Großbritannien hat zwar nicht dem Vater, aber dem Sohn Kureishi eine glänzende Karriere ermöglicht. Einerseits. Andererseits kann sich der Sohn in seiner eigenen Lebenshaltung in London nicht im Entferntesten messen mit dem feudalen spätkolonialen Lebensstil, den die Familie seines Vaters in Indien noch genießen konnte, in großen Häusern und verwöhnt von zahlreichen Domestiken. Hanif Kureishi entstammt einer indisch-pakistanischen kolonialen Oberschicht, die größtenteils und für immer verschwunden ist. Er darf zufrieden sein, dass er in England heute als Angehöriger der Mittelschicht voll akzeptiert wird.
    Und er hat die tiefgreifende Transformation der englischen Gesellschaft nach dem Ende des Empire und nach drei Zuwanderungswellen – der afrokaribischen, der indo-pakistanischen

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