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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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Pakistan verheiratet wurde, hat sich nach nur zwei Jahren von ihm scheiden lassen, weil der Mann es für sein im Koran verbrieftes Recht hielt, seine Ehefrau zu misshandeln.
    Auslöser der Romanhandlung ist das Verschwinden eines Liebespaars, Chanda und Jugnu. Bald erhärtet sich der Verdacht, dass die beiden verschollenen Liebenden ermordet wurden: Chandas Brüder wollten es nicht hinnehmen, dass das Paar unverheiratet zusammenlebte, und sahen sich zum Ehrenmord an ihrer jungen Schwester und deren Liebhaber wenn schon nicht verpflichtet, so doch berechtigt. Jugnu, Schmetterlingskundler von Beruf, war Shamas’ jüngerer Bruder. Er hatte in Amerika studiert und die halbe Welt bereist und war ein charmanter und unvoreingenommener Naturforscher, dessen lässiger Lebensstil zwar die junge Chanda (und insgeheim auch seine Schwägerin Kaukab) bezauberte, in «Dasht-e-Tanhaii» aber wegen seiner sündhaften Freizügigkeit Anstoß erregen musste.
    Im Roman steht Jugnu nicht nur für eine furchtlose Modernität, der sich die pakistanische Gemeinde ansonsten verweigert; mit ihm halten auch die Schmetterlinge, die Blumen, Vögel und Insekten Einzug in die Roman-Prosa. Nadeem Aslam pflegt einen üppigen ornamentalen Stil, der dazu neigt, sich mit kostbaren Metaphern und poetischen Vergleichen zu überladen. Diese orientalisierende Schmuckprosa wird dem Autor gelegentlich als ethnischer Exotismus vorgeworfen, als Zugeständnis an den neokolonialen Geschmack von Lesern, die einen Roman vom Subkontinent ohne scharfe Gewürze und duftende Blumen, ohne die Aufzählung exotischer Speisen, ohne edle Geschmeide, prächtige Gewänder und Stoffe nicht goutieren würden.
    Tatsächlich ist der Einwand schwer von der Hand zu weisen, Aslams prunksüchtiger floraler Dekorationsstil vertrage sich schlecht mit dem grausamen sozialen Realismus der Geschehnisse im Migrantenghetto von «Dasht-e-Tanhaii» – es sei denn, man lässt den Kontrast von Blütenduft und häuslicher Gewalt als narrative Schockstrategie gelten. Es lässt sich freilich auch ganz anders über das Leben in den Zuwandererenklaven schreiben – in einem sparsameren, trockeneren Stil. Autoren wie Monica Ali aus Bangladesch oder Hanif Kureishi verbindenin ihren Migranten-Romanen unmetaphorische Nüchternheit mit Präzision, nicht zu deren Nachteil.
    Die Zuwanderer aus Bangladesch gelten als die zeitlich jüngsten und ärmsten Ankömmlinge im Londoner East End. Die Armutsmigration war schon vor der Abspaltung Bangladeschs von Pakistan 1971 in Gang gekommen, doch die blutigen Sezessionskämpfe und das Wüten der pakistanischen Armee im abfallenden östlichen Landesteil gaben der Massenemigration in den 1970er Jahren noch einmal einen dramatischen Schub. In diesen Jahren wandelten sich die Ost-Londoner Viertel Spitalfields, Whitechapel und Tower Hamlets erst richtig zu «Banglatown». Und «Banglatown» wurde die größte Ankunftsstadt für Bangladeschis in Europa.
    In seiner großen Völkerwanderungsstudie «Arrival City», die den Migrantenströmen in den Mega-Städten von heute nachgeht, nennt der kanadische Publizist Doug Saunders auch Zahlen. Demnach leben heute in Großbritannien fast eine halbe Million Bangladeschis und ihre in der Emigration geborenen Kinder, der Großteil davon im Bezirk Tower Hamlets am Ostrand der Londoner City. Die meisten Migranten waren ursprünglich Dorfbewohner aus dem ländlichen Hinterland Bangladeschs, die aus Holzhütten ohne Strom oder Straßenanbindung inmitten von Reisfeldern aufgebrochen waren, um im Mutterland des einstigen Empire einen Neubeginn zu versuchen. Viele kamen aber auch aus den Textil-Sweatshops von Dhaka, «dem Manchester Indiens», der Nähstube der Welt. Sie landeten in den tristen kommunalen Wohnblöcken und -türmen rund um die Brick Lane in Tower Hamlets mit ihren überfüllten Wohnzellen, verwahrlosten Stiegenhäusern und zubetonierten, vermüllten Höfen. Die Männer arbeiteten in der Gastronomie oder eröffneten Curry-Lokale, die Frauen nähten in Heimarbeit Billigklamotten für den britischen Markt.
    Und doch zeigte sich spätestens in der zweiten Einwanderergeneration, dass Londons East End als «traditionelles Wartezimmer für den Zugang zur britischen Gesellschaft» fungiert: Den besser ausgebildeten Kindern der Zuzügler eröffnen sich bessere Jobs

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