Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
gute Muslime vor der Berührung mit allem in diesem Land, dass sie zum Ausgehen eine eigene Kleidergarnitur anlegen und diese im Augenblick ihrer Rückkehr ablegen, um zu Hause «Kleidung anzuziehen, von der sie wissen, dass sie sauber ist».
Salman Rushdies neues Empire innerhalb GroÃbritanniens hat offenbar alle seine internen Probleme und Konflikte vom Subkontinent ins Mutterland eingeschleppt. Nadeem Aslam breitet sie in seinem Roman ganz unverblümt aus: Rassismus, religiöse Intoleranz zwischen Hindus, Sikhs und Muslimen, Ehrenmorde und Gewalt gegen Frauen. Es gibt arrangierte Ehen, die die Partner unglücklich machen; es gibt Zwangsheiraten ungebärdiger Mädchen mit dem nächstbesten Cousin; es gibt Heiratsverbote â die Tochter eines Sikh etwa darf ihren Geliebten nicht ehelichen, denn er ist Muslim. Und es gibt muslimische Scheidungen â «Talaaq, Talaaq, Talaaq» â, die Frauen in einem Moment des Jähzorns des Ehemannes aller existenziellen Sicherheiten berauben können, wie es einer Romanfigur tatsächlich geschieht. Der Roman ist eine wahre Enzyklopädie aller im Namen des Islam begangenen Grausamkeiten, vor allem gegen Frauen.
«Das Viertel ist ein Ort byzantinischer Intrige und emotioneller Spionage, und wenn hier zwei Personen auf der StraÃe miteinander reden, dann sind ihre Zungen die zwei Hälften einer Schere, mit der der gute Ruf und Name anderer zerschnitten werden», liest man bei Nadeem Aslam. Es ist das Viertel der Abgehängten, Steckengebliebenen und Gescheiterten, der Zuwanderer vom Subkontinent, die nicht flexibel und mobil genug waren, um in England die gesellschaftliche Integration und den Aufstieg zu schaffen, wie Aslam in einem seiner gelegentlichen soziologischen Kommentare anmerkt: «Die WeiÃen zogen bereits Ende der siebziger Jahre von hier fort, und während der achtziger Jahre waren die Hindus die erste Gruppe von Immigranten, die in die wohlhabenden Vororte zogen, in den Jahren darauf gefolgt von einer Handvoll Pakistanis, Ãrzte, Anwälte, Steuerberater,Ingenieure â alle sind sie aus dem Viertel weg in die Vororte gezogen und haben die Pakistanis, die Bangladeschis und ein paar Inder zurückgelassen, die in Restaurants arbeiten, Taxis oder Busse fahren oder arbeitslos sind.»
Der Roman strotzt vor Geschichten über Gewalt, Unrecht, Rache, Bigotterie, religiösen Obskurantismus und Unwissenheit in einer dislozierten, trotzig verhockten und in sich verkeilten asiatischen
Community,
die an ihren Geheimnissen, ihrer Enge und der Tyrannei ihrer rigiden Regeln erstickt. Und doch hält der Roman all dem eine Grundstimmung von Zärtlichkeit, Liebe und Menschenfreundlichkeit entgegen, die im Wesentlichen vom Haupthelden Shamas ausstrahlt, einem lebensklugen, toleranten, liberalen und friedfertigen Mann, der sich aber aus all den Kontroversen ringsum nicht heraushalten kann.
In «Dasht-e-Tanhaii», der Wüste der Einsamkeit, leiden alle Figuren unter einem Gefühl der Entwurzelung, Vereinzelung und inneren Leere: Sie wurden verpflanzt, haben aber im fremden Land nicht Fuà fassen können oder wollen. Shamas, der säkulare Muslim, findet keinen Kontakt zu seiner konservativen und tief religiösen Ehefrau Kaukab, deren eifernde Intoleranz und ultra-islamische Frömmigkeit ihn befremden. Kaukab wiederum spricht auch nach vierzig Jahren im Lande nur Urdu, kann Englisch allenfalls radebrechen und kommt pro Jahr mit höchstens drei WeiÃen in Kontakt (und das sind ihr schon drei zu viel). Sie verzweifelt an ihren in England geborenen und sich westlich orientierenden Kindern, die ihre strengen Wertvorstellungen ablehnen und sich ihr in dem MaÃe entfremdet haben wie sie sich anschicken, in die Mainstream-Kultur einzutreten. Shamas und die Kinder halten Kaukab im Grunde für einen hoffnungslosen Fall von Engstirnigkeit und Rückständigkeit. Dennoch gelingt es Nadeem Aslam, beim Leser Sympathie und Verständnis für diese unglückliche Frau zu wecken.
Ihr ältester Sohn hat eine weiÃe Engländerin geheiratet und ist, inzwischen geschieden, in London ein bekannter Maler geworden â mit Bildern, die Kaukab für gotteslästerlich und schamlos halten muss. Ihr jüngster Sohn hat sich seit acht Jahren nicht mehr zu Hause blicken lassen und schweigt sich aus über sein Leben. Und ihre Tochter, dievon den Eltern mit einem Cousin ersten Grades drüben in
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