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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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Aufstiegsdynamik. Doch seine Not ist tiefer und grundsätzlicher. Er kann sich nicht entscheiden: Wenn er Amerikaner werden, sich ein neues Leben aufbauen und heimisch werden will, frei von den Schranken und Zwängen seiner Herkunftskultur, dann müsste er seine Vergangenheit vergessen. Aber wäre es nicht Verrat, wenn er allem, was er ist und was ihn geprägt hat, den Rücken zukehrte? Das ist sein Dilemma: «Wie sollte ich in Amerika ein neues Leben anfangen, wenn ich Äthiopien gar nicht richtig verlassen hatte?» Sein Resümee ist düster: «Ein Mann, der zwischen zwei Welten hängt, lebt und stirbt allein.»
    Die Ohnmachtsgefühle dieses melancholischen Äthiopiers sind allerdings nicht das letzte Wort in der Literatur afrikanischer Einwanderer in Amerika. So pessimistisch Dinaw Mengestu die Integrationsund Aufstiegschancen seines Ich-Erzählers Stephanos auch einschätzt, so offensichtlich ist andererseits, dass neuerdings in der Literatur andere, optimistischere Leitbilder für Immigranten aus Afrika formuliert werden. In den Romanen anderer afrikanischer Zuzügler-Autoren erscheint das Rätsel der Ankunft gelöst, wenn auch auf jeweils unterschiedliche Weise.
    Teju Cole, der Kunsthistoriker und Autor, Sohn nigerianischer Einwanderer, der in Brooklyn lebt, und Kwame Anthony Appiah, der in London geborene Philosoph aus Ghana, der nach Professuren in Yale, Cornell und Harvard heute in Princeton lehrt, führen beide einen afrikanischen Ermächtigungsdiskurs, der traurige Figuren wie Mengestus gescheiterten äthiopischen Gemischtwarenhändler am Logan Circle längst hinter sich gelassen hat. Ihr Leitbegriff ist das Kosmopolitentum, das Teju Cole in Romanform («Open City») und Kwame Appiah im Format eines philosophischen Essays («Der Kosmopolit») abhandeln. Die Leitfigur des Kosmopoliten, wie Cole und Appiah sie vorstellen, birgt allerdings ihre eigenen exquisiten Melancholien; sie ist vielschichtiger als Taiye Selasis enthusiastisches Bild vom Afropoliten, dem globalen Kultur-Surfer – wenngleich kaum weniger elitär, gehören doch Cole und Appiah ebenso zur afrikanischen Bildungselite wie Selasi, Chimamanda Adichie und Helon Habila.
    Julius heißt der Kosmopolit in Teju Coles Erstlingsroman «Open City». Er ist der Ich-Erzähler des Romans. Anders als die armen und deklassierten afrikanischen Immigranten bei Dinaw Mengestu ist Julius ein erfolgreicher Akademiker, ein junger Mann am Ende seiner Facharztausbildung zum Psychiater. Als Sohn eines nigerianischen Vaters und einer deutschen Mutter ist er in Lagos aufgewachsen, hat dort eine Militärschule besucht und ein Stipendium gewonnen, um in Amerika zu studieren. Als Psychiater ist er auf die Schwerpunkte Wahnsinn und Depression spezialisiert – also auf seelische Erkrankungen, die nicht so leicht durch äußere Symptome zu erkennen sind.
    Julius ist ein unermüdlicher Flaneur, der außerhalb seiner Dienststundenlange und scheinbar ziellose Spaziergänge liebt; und die offene Stadt, die Coles Protagonist auf seinen urbanen Parcours durchstreift, ist New York City, die multikulturelle und multiethnische Metropole
par excellence.
New York ist hier die exemplarische «Arrival City», wie sie der Autor Doug Saunders in seiner gleichnamigen Studie vorstellt, die radikal multikulturelle Ankunftsstadt für Migranten von überallher. Diversität wird hier nicht eingefordert, beklagt oder bejubelt, sie ist einfach ein existenzielles Begleitgeräusch. Insofern ist der Roman als Hommage an New York und als Plädoyer für die Unendlichkeit kultureller Differenz zu lesen, die diese Stadt ermöglicht. Und Teju Coles Julius steht in seiner opaken Kühle, seiner ironischen Skepsis, seiner ostentativen Überlegenheit und seinem undurchdringlichen Detachement geradezu Modell für den erfolgreichen transnationalen Migranten – scheinbar.
    Â«Open City» ist ein Stadtroman, aber auch der Selbstfmdungsroman eines Ichs, das sich in tagebuchartigen Aufzeichnungen beobachtend und reflektierend klar zu werden versucht über sich selbst und seinen Ort in der Welt. In seinem Erzählgestus bildet der Roman das fragmentierte Bewusstsein seines Protagonisten ab: Auch das Buch zersplittert in Lektüre-Erlebnisse, musikalische Eindrücke, aufgeschnappte und beiläufig geführte Gespräche, Galeriebesuche, Stadtwanderungen und einsame Meditationen.
    Der

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