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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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eine Ethik für eine Welt von Fremden («Ethics in a World of Strangers») entwirft, in ein fragwürdiges Licht. Zu unrecht. Denn Appiah plädiert auf noble und entspannte Weise für ein harmonisches Zusammenleben der Menschen auf dem Globus, auch ohne Einigung über grundlegende Werte, allein dadurch, dass ständig das Gespräch gesucht wird. Nur im Gespräch rücken Fremde einander näher. Zwei Ideale sucht Appiah in seiner Denkfigur des Kosmopoliten miteinander zu verklammern: universelle Sorge um andere und Achtung vor legitimen Unterschieden. Darin erkennt er die eigentliche Herausforderung in einer globalisierten Welt.
    Bezogen auf Teju Coles Roman stellt sich also die Frage: Scheitert Appiahs optimistisches Menschenbild an der gewalttätigen Realität? Oder versagt umgekehrt Coles Romanheld vor den ethischen Anforderungen der Gewaltlosigkeit, die Appiah für Weltbürger postuliert? Der Autor belässt seine Hauptfigur in seinem moralischen Dilemma, ohne es aufzulösen. So entpuppt sich «Open City» als ebenso präzises wie unheimliches Porträt eines Migranten, der die zeitgenössische hybride Existenzweise zwischen drei Kontinenten scheinbar glänzend gemeistert hat und ein souveräner Kosmopolit geworden ist, aber an der Selbstaufklärung der eigenen Abgründe scheitert.
    Keine sechzig Jahre liegen zwischen «The Lonely Londoners» und «Open City», zwischen Sam Selvons illiteraten einsamen afrokaribisehenZuwanderern in London und Teju Coles Julius, dem hoch gebildeten einsamen nigerianischen Zuwanderer in New York. Sage keiner, in der Literatur habe sich das Bild vom Migranten in dieser Zeit nicht gründlich geändert.
    Erwähnte Bücher
    Chinua Achebe «Alles zerfällt», Roman (Heinemann 1958; S. Fischer 2012)
    Chinua Achebe «There Was a Country. A Personal History of Biafra» (The Penguin Press 2012)
    Chimamanda Ngozi Adichie «Blauer Hibiskus», Roman (btb Verlag 2007)
    Chimamanda Ngozi Adichie «Die Hälfte der Sonne», Roman (btb Verlag 2008)
    Chimamanda Ngozi Adichie «Heimsuchungen. Zwölf Erzählungen» (S. Fischer 2012)
    Uwem Akpan «Sag, dass du eine von ihnen bist», Erzählungen (Suhrkamp 2012)
    Kwame Anthony Appiah «Der Kosmopolit. Philosophie des Weltbürgertums» (C.H.Beck 2007)
    Teju Cole «Open City», Roman (Suhrkamp 2012)
    Helon Habila «Öl auf Wasser», Roman (Wunderhorn 2012)
    Dinaw Mengestu «Zum Wiedersehen der Sterne», Roman (Claassen 2009)
    Ken Saro-Wiwa «Die Sterne dort unten», Erzählungen (Deutscher Taschenbuch Verlag dtv 1996)
    Doug Saunders «Die neue Völkerwanderung – Arrival City» (Blessing 2011)
    Taiye Selasi «The Sex Lives of African Girls» (in: «Granta. The Magazine of New Writing» Nr. 115/2011)
    Taiye Selasi «Diese Dinge geschehen nicht einfach so», Roman (S. Fischer 2013)

3. Kapitel
In den Ruinen des British Empire
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Pakistanische Zerreißproben
    Der Journalist und Schriftsteller Aatish Taseer ist ein exemplarischer Fall. Er ist ein Mann derart gemischter Herkünfte, dass man ihn als ideellen Gesamt-Inder bezeichnen könnte. Die ganze Zerrissenheit des indischen Subkontinents bildet sich in seiner Herkunftsgeschichte ab, mit allen absurden Widersprüchlichkeiten und tragischen Ironien. Im Besonderen verkörpert er die Teilung des Punjab in seiner eigenen Person.
    Geboren 1980 in London und aufgewachsen in New Delhi, ist Aatish Taseer der uneheliche Sohn einer indischen Journalistin und eines bekannten pakistanischen Politikers und Geschäftsmanns. Die Mutter entstammt einer alten Familie aus der religiösen Minderheit der Sikhs, die im Zuge der Teilung des Subkontinents im Jahr 1947 aus dem Punjab vertrieben wurde, nach Indien flüchtete und sich in New Delhi niederließ. Der Vater Salmaan Taseer war ein Muslim aus Lahore, der in London studiert hatte und sich der Pakistanischen Volkspartei des Links-Politikers Zulfikar Ali Bhutto anschloss. Er bekleidete verschiedentlich Ministerposten und war zuletzt Gouverneur der Provinz Punjab. Die längste Zeit verweigerte er jeden Kontakt zu Aatish Taseer, denn der indische Sohn schadete seiner Karriere. Immer wieder brachten politische Widersacher des Vaters Kopien der Geburtsurkunde des Jungen in Umlauf, um den charismatischen Politiker wegen dieser Verbindung zum Feind und Nachbarn Indien zu diskreditieren und seine Chancen bei

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