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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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unter dem Namen Bangladesch selbstständig machte.
    Aatish setzt das Auf und Ab der politischen Karriere seines Vaters in Beziehung zu den Triumphen und Katastrophen der regierendenFamilie Bhutto, deren loyaler Parteigänger Salmaan Taseer immer geblieben ist. Er hielt ihr die Treue, auch als Präsident Ali Bhutto durch einen Militärputsch gestürzt und 1979 unter seinem Nachfolger, dem Putschgeneral Zia ul-Haq, hingerichtet wurde, und als seine Tochter, die zweimalige Premierministerin Benazir Bhutto, 2007 im Wahlkampf einem Attentat zum Opfer fiel. Er ging für seine politische Überzeugung auch ins Gefängnis. Während der Militärdiktatur General Zias, der – gestützt auf seinen Geheimdienst ISI und die CIA – Pakistan einer rigorosen Islamisierungskampagne inklusive Todesstrafe für Gotteslästerung unterwarf, wurde der Oppositionspolitiker Taseer mehrmals inhaftiert, einmal kam er sogar für ein halbes Jahr angekettet in Einzelhaft.
    Was die Vertreibungsgeschichte seiner mütterlichen Familie betrifft, so erwähnt Aatish Taseer, dass seine Großeltern zunächst glaubten, die Teilung des Subkontinents 1947 in das von Hindus dominierte Indien und das islamische Pakistan sei nur nominell und würde keinen Bevölkerungsaustausch nach sich ziehen. Sie irrten sich schrecklich. Tatsächlich hatte die Teilung eine der größten und grausamsten Wellen von Flucht und Vertreibung überhaupt zur Folge. Mehr als zehn Millionen Menschen wurden vertrieben oder flohen von Ost nach West und umgekehrt: Muslime Richtung Pakistan, Hindus und Sikhs in das heutige Indien. Pakistan zeigte sich besonders konsequent darin, seine Bevölkerung von Nicht-Muslimen zu säubern und Angehörige religiöser Minderheiten umzusiedeln, zu vertreiben oder zu ermorden. Der kollektive Blutrausch im Gefolge der Unabhängigkeit führte in beiden Teilstaaten zu wechselseitigen Massakern. Man schätzt, dass die Gemetzel zwischen Hindus, Sikhs und Muslimen bis zu einer Million Todesopfer forderten.
    Das Hauptinteresse Aatish Taseers gilt jedoch den Ursachen für die zunehmende islamistische Militanz in der Welt. Sein Augenmerk richtet sich auf den politischen Islam von heute und auf den Sinneswandel gläubiger Muslime: Er will herausfinden, wie und warum sie sich politisch radikalisieren. Das Beispiel Pakistans, dieses Zerfallsprodukts des British Empire, in all seinen Widersprüchen und seiner inneren Zerrissenheit erweist sich da als besonders aufschlussreich für dasZusammenschießen von Glaube und Politik; dem liegt offenbar, so Aatishs Erkenntnis, ein politisch und historisch motivierter Groll gegenüber der modernen Welt zugrunde.
    Der Sohn nähert sich seinem Vater auf Umwegen. Sein Ziel Lahore peilt er an, indem er erst so gemächlich wie neugierig durch das Land mäandert und sich aus ganz unterschiedlichen Begegnungen und Gesprächen ein Bild vom heutigen Pakistan zu machen versucht. Von der Hafenstadt Karachi aus erkundet er das pakistanische Hinterland. Er besucht die Provinz Sindh an der Grenze zu Indien, in der eine tolerante Sufi-Frömmigkeit noch tief verwurzelt scheint und schiitische Muslime und Hindus gleichermaßen vor den Schreinen sufistischer Heiliger beten. Er erkennt aber auch, wie sehr der Sindh durch die Vertreibung der dynamischen Klasse von Hindu-Kaufleuten ökonomisch gelitten hat: «Im Sindh war der Preis für die muslimische Reinheit des Staates das Verschwinden der Hindu-Mittelschicht. Und ohne seine Mittelschicht war die Entwicklung des Sindh seit 1947 nicht nur ausgeblieben, hatte das Land nicht nur an alten Feudalstrukturen festgehalten; vielmehr herrschte völlige Gesetzlosigkeit. Eine Gesellschaft ohne Zusammenhalt.» Aatish begreift, dass diese vertriebenen tüchtigen Hindus die Hauptursache für den Wandel sind, der sich in Indien vollzogen hat, nicht aber in Pakistan. In Indien wurden die Feudalstrukturen durch die neue
Middle Class
eingerissen; in Pakistan blieben sie als Modernisierungshemmnis erhalten.
    Aatish macht auch einen Abstecher zu den Ländereien des «Mangokönigs», der der alten feudalen Oberschicht der Großgrundbesitzer angehört. Er stellt fest, dass trotz all ihrer Dekadenz und moralischen Verkommenheit die rund zwei Dutzend großen Familien der Feudalaristokratie immer noch in der Lage sind, im Hintergrund mächtig die Strippen im Lande zu ziehen. Sie betrachten Pakistan

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