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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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Ex-Finanzminister und Vater der Wirtschaftsliberalisierung als neuen Premier vor. Manmohan Singh nahm an. Sonia Gandhi, von vielen unterschätzt, behielt alle Fäden in der Hand. Bis heute ist sie die graue Eminenz, ohne die in Neu-Delhi gar nichts läuft.
    Zunächst schien Singh den Höhenflug fortsetzen, ja noch intensivieren zu können. Kreatives indisches Chaos mit einer lebendigen Zivilgesellschaft gegen staatlich verordneten Fortschritt in einem chinesischen Unterdrückungsstaat – die Sympathien der USA und Europas beim Wettbewerb der Systems waren klar verteilt. Washington lobte die »besondere strategische Partnerschaft«. Auch die deutsche Politik bemühte sich um besondere Nähe. So lud Bundeskanzlerin Merkel das indische Kabinett zu Konsultationen der beiden Regierungen ein, ein Privileg, das nur wenigen anderen befreundeten Nationen wie Frankreich, Polen und Israel (und neuerdings der VR China) vorbehalten ist. Da war dann auch ein Ausrutscher wie der unsägliche Wahlkampfspruch des CDU -Politikers Jürgen Rüttgers (»Kinder statt Inder«) schnell vergessen.
    Die durchaus robuste indische Außenpolitik stieß in Europa und den USA auf erstaunliches Wohlwollen. Indien dachte gar nicht daran, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten und baute sein Arsenal an Sprengköpfen aus. Es schickte Spionagesatelliten ins All und will in den nächsten beiden Jahrzehnten für rund 45 Milliarden Dollar 103 neue Kriegsschiffe anschaffen (und für die maritime Ausrüstung 20 Milliarden mehr ausgeben als die Volksrepublik China). In der Kaschmir-Frage verweigert Indien die schon vor Jahrzehnten von den Vereinten Nationen geforderte Volksabstimmung. Und bei internationalen Streitfragen vom Klimaschutz bis zur Iran-Sanktionierung geht das Land seinen Weg an der Seite der BRICS -Staaten, brüskiert den Westen und blockiert auch stur und selbstbewusst Konferenzen zum Welthandel. In Afrika hat sich das Land auf einen Dreikampf mit China und Brasilien eingelassen – manchmal kooperieren die neuen Mächte auf dem Kontinent, öfter stehen sie sich aber auch als Rivalen um Rohstoffe gegenüber. Dabei geht es nicht nur um Erdöl, Gas, Kupfer und Gold, sondern auch um Agrarland. In Äthiopien beispielsweise haben sich indische Unternehmen riesige fruchtbare Flächen gesichert, die bei steigenden Nahrungsmittelpreisen weltweit Reserven schaffen sollen – ohne jede Rücksicht auf die Interessen der einheimischen Bevölkerung. »Indien löst die größten Kopfschmerzen aus, mehr noch als diese andere asiatische Großmacht«, schrieb die Foreign Policy in einem polemischen Artikel. Experten des Economist beklagten dagegen die fehlende Strategie der indischen Politik, den fehlenden Willen, eine entscheidende Rolle als friedliche Ordnungsmacht in der Region einzunehmen. Tatsächlich spart kaum ein Land so sehr an seinen Botschaftsvertretungen wie Indien: Weltweit arbeiten für den diplomatischen Dienst der Milliarden-Großmacht etwa genauso viele Gesandte wie für den Fünf-Millionen-Einwohnerstaat Singapur. Peking schickt achtmal so viele Gesandte aus, Brasilien viermal so viele. Manchmal scheint man in Delhi selbst nicht so recht zu wissen, was man sein will: eine überdimensionierte Schweiz mit möglichst wenig internationalen Verpflichtungen oder eine aggressive Weltmacht. An UNO -Friedensmissionen arbeitet Indien jedenfalls vorbildlich mit und stellt eines der größten Kontingente. Dass dem Land ein permanenter Sitz im Weltsicherheitsrat zustünde, ist eine der wenigen gemeinsamen Grundüberzeugungen aller indischen Parteien.
    Premier Singh erlebte dann 2006 vielleicht sein schönstes Jahr: Das Land ist auf dem Höhepunkt der Erwartungen im Inneren, der Anerkennung von außen. »India Everywhere« nennen die Politik- und Wirtschaftsführer ihren Auftritt beim Weltwirtschaftsforum in Davos selbstbewusst, und tatsächlich konnte man den Eindruck bekommen, Indien sei allgegenwärtig. In Dutzenden Veranstaltungen präsentierte sich das Land als Zukunftsmodell und versuchte Investoren klarzumachen, dass jeder bei diesem Boom dabei sein musste. Gäste bei den Promotion-Treffen wurden großzügig bedacht, als Geschenke gab es iPods in den Nationalfarben und mit Sitarmusik, dazu Paschmina-Tücher, »von uns im Himalaja, damit es Ihnen in den Alpen nicht kalt wird«.
    Indien erreicht eine wirtschaftliche Wachstumsrate von 10,1 Prozent. Aber Singh gelingt es nicht, die Aufbruchsstimmung seiner Ministerjahre auf seine Amtszeit als Premier zu

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