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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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Übergriffe der Militärs mag in Brasilien lange keiner rühren, man setzt aufs Vergessen. Ein Amnestiegesetz legt fest, dass Verbrechen währen der Diktatur nicht verfolgt werden sollen. Erst als die Ex-Guerillera Rousseff, selbst gefoltert von den Schergen der Generale, 2011 Präsidentin wird, ändert sich das: Sie richtet eine Wahrheitskommission ein, die alle politisch motivierten Verbrechen klären soll. Und auch die Familienangehörigen der Vermissten haben nicht lockergelassen. Auf ihre Initiative hin befasste sich der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Problem – und fällte ein bahnbrechendes Urteil: Er erklärte die brasilianische Amnestie für ungültig und forderte eine neue juristische Aufarbeitung. Jetzt versucht eine Gruppe junger Staatsanwälte, die Verantwortlichen endlich vor Gericht zu bringen. Der Erste, gegen den vermutlich ein Verfahren eingeleitet wird, ist Curió. Der Beschuldigte, inzwischen Ende siebzig, schweigt eisern. Und es stellen sich Fragen: Können ihm Taten, begangen vor fast vierzig Jahren, wirklich noch mit Zeugenaussagen nachgewiesen werden? Und wie mächtig sind noch die alten Seilschaften, die jedes Interesse daran haben, dass kein Staub aufgewirbelt wird, in den Korridoren der Macht von Brasília?
    Sie graben vor unseren Augen. Sie graben unverdrossen. Bedrohlich dunkel treiben derweil die Wolken über den breiten, trägen Fluss ganz in der Nähe. Noch brennt die Sonne erbarmungslos, alles versengend, Moskitos schwirren, der nachmittägliche Tropensturm mit dem Platzregen wird bald einsetzen. Aber die Männer graben weiter. Einen Meter durch das Erdreich, noch tiefer. Marco Guimaraes kniet in der Grube, sein schwarzes Hemd ist durchgeschwitzt. Triumphierend hebt er etwas hoch. »Ein Menschenschädel«, ruft der Gerichtsmediziner aus Brasília nach oben und bläst vorsichtig den Sand von den Knochen. »Wenn man die Größe des Kiefers betrachtet, wahrscheinlich die Überreste eines erwachsenen Mannes.« Ein ermordeter Guerillakämpfer?
    »Der Mann wurde ohne Sarg verscharrt. Der Körper lag nicht Richtung Westen, wie in der Region üblich. Um den Hals sind Reste eines Seils geschlungen«, diktiert der Experte. »Alle Indizien deuten auf einen Guerillero.« Genaueres wird erst der Vergleich mit der DNA von Verwandten ergeben, die ihre Angehörigen als vermisst gemeldet und genetisches Material zur Verfügung gestellt haben. Ganz sicher sind sich die ermittelnden Forensiker erst bei zwei Exhumierten. Sie wurden nach Hinweisen von Dorfbewohnern gefunden, die sich an den Ort der Exekutionen erinnerten. Die Suche geht weiter an der anderen Seite des Flusses, eine rostige Fähre tuckert durch die graubraunen Wassermassen. Xambioá ist eines dieser typischen Flussdörfer, verwaschene Steinhäuser, chaotische Gemischtwarenläden, einfache Fischrestaurants. Und am Rande des Ortes, nahe der schmucken katholischen Kirche, liegt der Friedhof. Auch hier wird exhumiert, kategorisiert. Die Toten des Amazonas erzählen Geschichten. Man muss sie nur entschlüsseln und verstehen können.
    Manuel Cajueiro ist der Zeuge, auf den die Ermittler setzen. Er sitzt auf einer der weißen Grabplatten des Gottesackers, eingefallene Wangen, von Krankheiten gezeichneter Körper, ein Männchen am Ende des Lebens. Er möchte helfen. Ihn plagt noch immer das schlechte Gewissen wegen damals, als er auf der falschen Seite stand. »Andererseits, was hätte ich schon machen sollen, ich konnte mich nicht gegen die Übermächtigen auflehnen«, flüstert er kaum hörbar, so, als erwarte er von den Fremden Absolution. Cajueiro wurde damals gezwungen, die Jagd auf flüchtende Rebellen voranzutreiben. »Curió war das Gesetz«, sagt der Alte. »Nein, mehr noch. Er war Gott.« Manchmal ließ er nach Aussagen des Augenzeugen Leichen an Wegkreuzungen im Dschungel zurück, als eine Art Köder für die Aufständischen, die ihre Toten immer zu bergen versuchten und so in den Hinterhalt gerieten. Er befahl, die abgehackten Köpfe als Beweisstücke zur Militärbasis transportieren. Curió hatte neben dem Job nur wenige Leidenschaften. Dazu gehörte das Fischen. »Einmal kam Major Curió mit einem General im Helikopter angerauscht, schrie aus dem Cockpit: Packt die Toten zusammen, ich hol sie auf dem Rückweg ab! Wir wollen jetzt erstmal zum Angeln!«
    Der Major hat seine Gefangenen eigenhändig gequält, mit Eisenstangen, mit Schlägen, immer emotionslos, versteinert die Miene; ein systematischer

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