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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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so aggressiv reagiert, dass man ihn in einem Käfig gegen seinesgleichen antreten lassen kann. Der Curió, darauf lässt sich wetten, kämpft bis zur Erschöpfung, bis zum Tod. »Menschenfreund« bedeutet sein Name in der Sprache der Waldbewohner. Ein schräger Vogel, weiß Gott, ein schräger Vogel.
    Der Mann, dem sie diesen Spitznamen gegeben haben, hat auch ein loses Mundwerk. Und alle, die ihn kennen, sind sich einig, dass er rücksichtslos und brutal vorgeht. Auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt, auch nicht auf sich selbst. Aber Oberst Sebastião Rodrigues de Moura, genannt Major Curió, ein Menschenfreund? Da schütteln Freunde wie Feinde nur den Kopf. »Er ist keiner, der irgendwelche Empfindungen kennt«, sagt schaudernd sein Weggefährte Licio Maciel. Wenn man den brasilianischen Offizier a. D. mit irgendjemand vergleichen könnte, dann nur mit einer fiktiven Gestalt: mit Major Kurtz, den Francis Ford Coppola in Apocalypse Now mordend durch die Dschungel am Mekong jagte, ein Größenwahnsinniger, der sich sein eigenes Reich auf Erden schuf, ein Gottvater des Grauens. Aber die Ereignisse und Personen, um die es hier geht, sind real. Die Geschichte handelt von Mord und Vergeltung, von Politik und privater Rache. Von Schuld, die nie verjährt.
    Sie beginnt in den Zeiten der Militärdiktatur: Ende der Sechzigerjahre nisten sich kommunistische Kämpfer am Rio Araguaia ein. Männer wie José Genoíno, der spätere PT-Parteichef, und André Grabois, einer der später Verschollenen und höchstwahrscheinlich Hingerichteten, dessen Witwe in Rio de Janeiro Jahrzehnte nach den Ereignissen im Urwald die Organisation »Nie wieder Folter« gegründet hat. Die maoistische Guerilla versucht von ihren kümmerlichen Brückenköpfen am Fluss aus, die große Revolution zu entfachen. Der schlecht ausgerüstete Haufen hat kaum Erfolge und wird nicht zu einer ernsthaften Bedrohung der Mächtigen. Doch die Generale in Brasília möchten jeden Widerstand im Keim ersticken, sie wollen die Widerstandsnester ausräuchern, die Dissidenten auslöschen. Als sie 1969 die ersten Regimegegner in der Region dingfest machen können und von ihnen unter schlimmster Gewaltanwendung Informationen erpressen, suchen die Militärs jemanden, der im Amazonas-Gebiet aufräumen kann. Einen Mann voller Tatkraft und ohne Skrupel. Sie finden ihn in ihren eigenen Reihen, einen Agenten, der gerade eine Dschungelausbildung der Armee mitgemacht hat.
    Sebastião de Moura stammt aus einfachen Verhältnissen. Der Sohn eines Friseurs und einer Hausmeisterin, geboren in einer Kleinstadt im südostbrasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, erlebt eine unspektakuläre Kindheit. Sein Ehrgeiz wird erst geweckt, als ein Cousin, der im Zweiten Weltkrieg für das brasilianische Expeditionscorps an der Seite der Italiener gekämpft hat, im Triumphzug durch die Straßen getragen wird. Da weiß Sebastião: So ein Held will er auch einmal sein, Großes leisten für den Ruhm der Nation und natürlich auch für den eigenen.
    Er schafft die Prüfungen zur Militärakademie, tut sich durch Fleiß und Gehorsam hervor. Steigt in seiner Freizeit als Preisboxer in den Ring, um sein kümmerliches Salär aufzubessern. Obwohl weder besonders groß noch kräftig gebaut, gewinnt er fast jeden Fight. Sein Spitzname stammt aus dieser Zeit. Curió erweist sich für das Regime im Amazonas-Dschungel dann als Volltreffer. Unter falschem Namen und mit allen Freiheiten ausgestattet, kreist er mit seinen Helikoptern über den vermuteten Verstecken der Rebellen, verfolgt sie mit Jeeps über Buschpfade, mit Booten über den Fluss. Und er ist bald berüchtigt dafür, keine Gefangenen zu machen. Grausame Geschichten kursieren: Curió lasse Köpfe abhacken, überwache persönlich die schlimmsten aller Folterungen. Tatsache ist: Die Guerillatruppe wird zerschlagen, Spuren werden verwischt. Von mehr als sechzig Toten oder Vermissten ist die Rede. Und von »Kollateralschäden«: Auch unter der Landbevölkerung, die mit den Aufständischen sympathisierte, soll es Tote gegeben haben.
    Der Offizier macht während der Militärdiktatur weiter Karriere. Er leitet ab 1980 die größte Goldmine des Landes, säubert sie von seiner Meinung nach »unerfreulichen Elementen«, gründet um ein Bordell herum eine ganze Stadt. Und auch als 1985 die Militärs entmachtet werden, bleibt der Mann obenauf, zieht als Abgeordneter ins Parlament ein, wird Bürgermeister der Stadt, die seinen Namen trägt: Curiópolis. An die

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