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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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Folterer sei er gewesen, einer, der »Resultate sehen« wollte. Einmal war Cajueiro auch bei einem Mord seines Chefs dabei. »Wir hatten im Dschungel mehrere Kämpfer aufgespürt, sie waren bereits entwaffnet und gefesselt. Curió fragte eine junge Rebellin, wie sie heiße. Sie sah ihn nur voller Verachtung an und sagte: Eine Guerillera hat keinen Namen. Da drehte er sich zu ihr, zog seine Pistole und schoss ihr in den Kopf. Einfach so, in den Kopf.«
    Und dann war irgendwann der Job erledigt. Es gab keine Aufständischen mehr in der Amazonas-Region. Aber im Brasilien der Militärdiktatur war für einen, der durchgreifen konnte, der sich mit der rücksichtslosen Niederschlagung von Störenfrieden bewährt hatte, immer was zu tun. Anfang der Achtzigerjahre drohten die Unruhen um die Goldmine Serra Pelada aus dem Ruder zu laufen. Es bedurfte einer Ordnungsmacht. Die Militärs riefen Major Curió, und der kam gern.
    Selbst heute noch trauern ihm manche nach, Hinrichtungen hin oder her. »Er war der effektivste, den wir je in der Stadt hatten«, sagt uns Fernanso Lopez, der alte Gewerkschaftsführer, nahe der alten Curió-Villa, die seit Monaten von arbeitslosen Goldsuchern besetzt ist. »Seine Methoden waren fragwürdig, aber bei ihm herrschte Disziplin.« Die Menschen von Curiónopolis sind verbittert. Ihre frühere Mine ist heute weitgehend verlassen, in einem Krater zwischen den zerfressenen Hügeln hat sich ein giftgrün schimmernder See gebildet. Auf der anderen Seite des kleinen Bergs beginnt ein Sperrgebiet. Eine kanadische Firma hat sich mit modernsten Maschinen ins Erdreich gefressen; angeblich finden sie jede Menge Gold und transportieren es nachts mit Lastwagen in weit entfernte, sichere Lagerhallen.
    Curió lebt heute in Brasília. Er lässt sich dort von einem Staranwalt vertreten. Adelino Tucunduva steht auf der in edlem Schwarz gedruckten Visitenkarte, und ähnlich pompös ist auch sein Auftritt bei unserem Interview in einem Luxushotel. Der Jurist wischt die Ankläger weg wie lästige Fliegen. Denen dürfe man wenig glauben, sagt er, und die Staatsanwaltschaft könne sich nur blamieren: »Es gibt keinen Fall Curió.« Er kenne seinen Mandanten seit vielen Jahren gut, er sei sein bester Freund. Der Major hat seiner Meinung nach immer korrekt gehandelt, ja geradezu vorbildlich. »Es existiert nichts, was er bereuen müsste, in meinen Augen ist er ein Held, der uns alle von großen Übeln befreit hat«, sagt der 71-jährige Advokat. »Jede Regierung hat doch ihre eigene Philosophie, jede braucht ihren Sündenbock – jetzt ist es eben Curió.«
    Der Beschuldigte lebt in einem gehobenen Mittelklassevorort. Interviews darf er auf Anweisung seines Anwalts nicht geben, das könnte nach dessen Meinung zu einer juristischen Blöße führen. Sollte es zu einem Prozess kommen, wird Curió wohl von seinem Recht zu schweigen Gebrauch machen. Nur folgende Sätze des mutmaßlichen Mörders dürfen zitiert werden. Curió zu seiner damaligen Aufgabe: »Es ging darum, die Integrität der Nation zu schützen, und zwar um jeden Preis.« Curió zum Vorwurf der Folter: »Ich habe Befragungen geleitet, und dabei serviert man nun mal keine Kekse. Es gibt eine Frist, um wichtige Informationen aus dem gefangenen Feind herauszubekommen. Solche Verhöre dürfen nicht zu weich sein, müssen den Umständen angemessen sein.« Curió zu den Verbrechen der Militärdiktatur: »Wenn es Auswüchse gab, dann sind sie jedenfalls nichts im Vergleich zu den Übergriffen, die sich kommunistische Regierungen anderswo geleistet haben.« Zwei Betroffene von früher sahen sich zwischenzeitlich mit dem Mann konfrontiert, der ihr Leben so wesentlich mitbestimmte: Victória Grabois, die ihren Mann, Sohn und Bruder im Araguaia-Dschungel verlor, hat Curió bei einer Vorverhandlung getroffen. José Genoíno, der von Curió verhaftet und in die Folterzelle verfrachtet worden ist, hat ihn im Senat wiedergesehen. Der eine Volksvertreter ist dem anderen Volksvertreter aus dem Weg gegangen – nun droht ihnen beiden aus unterschiedlichen Gründen, und beinahe gleichzeitig, eine lange Gefängnisstrafe.
    In Brasília kann man jeden Morgen sehen, wie der Bürger Sebastião Rodrigues de Moura, genannt Curió, einkaufen geht, um zwölf macht er ein Schläfchen, nachmittags besucht er gern einen seiner drei Söhne. Abends gönnt sich der rüstige ältere Herr zu Kartoffelchips und einem Bier manchmal eine der Telenovelas, die das brasilianische Fernsehprogramm

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