Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Glanz, wurde schließlich Professor für Wassermanagement und Hydraulik. Damit begann sein Kampf um den Ganges.
Dem Priester wird ein Zettel gereicht, ein Besucher hat um einen dringenden Termin gebeten. Mishra, der Seelsorger ist gefragt. Eine alte Frau nähert sich, schluchzend. Zeit für eine Pause in unserem Gespräch. Zeit für einen weiteren Gang über das Gelände des Heiligtums.
Der Sankat Mochan ist nur einer von 23000 Tempeln in der Stadt, und die Ehre, der schönste, wichtigste und berühmteste von Varanasi zu sein, gebührt ihm nicht. Die geht an den Kashi Vishwanath, den Shiva geweihten »Goldtempel«. Ein Blick auf diesen Schrein, so sagt man, sei für den Hindu wertvoller als die Ansicht jeder anderen religiösen Stätte. Der Tempel Mishras mag nicht ganz so prachtvoll sein, aber ich fand ihn immer interessanter. Und mit weit mehr als 10000 Besuchern an Tag ist er mindestens genauso beliebt. Der Sankat Mochan steht an der Stelle, wo der berühmte Poet und Philosoph Tulsidas im 16. Jahrhundert seine Übersetzung des Ramayana in eine volksnahe Sprache vollendet haben soll – übrigens gegen den Willen der höchsten Brahmanen, die den Text für die Angehörigen ihrer, der höchsten, Kaste vorbehalten sahen. Der Reformer gilt auch als Komponist des Hanuma Chalisa , einer Hymne an den Affengott Hanuman. Kaum eine Gottheit im hinduistischen Pantheon ist so beliebt wie Hanuman. »Du bist mächtig wie der Sturm, intelligent und erfinderisch und immer da, wenn man in einer Sackgasse steckt«, heißt es in den alten Schriften.
Der Tempel Mishras ist Hanuman gewidmet – und das heißt nichts anderes, als dass Affen hier Hausrecht haben. Überall auf den Mauervorsprüngen im Innern des Tempels lauern die Tiere und beobachten die Gläubigen. Sie scheinen zu ahnen, wenn ihnen jemand Nüsse oder Bananen mitgebracht hat, greifen dann blitzschnell und kreischend zu. Aber die Affen sind hier nicht aggressiv wie so vielerorts in Indien. Sie wissen wahrscheinlich, dass sie hier im Tempel nie zu kurz kommen. Und sie greifen deshalb höchst selten, ohne ermutigt worden zu sein, zu der besonderen Süßigkeit aus Zucker, Mehl und Kondensmilch, die von den Gläubigen geopfert wird. In einer Ecke des Tempelhofs haben Trommler ihre Instrumente aufgebaut, Kinder spielen Fangen, alte Frauen bleiben nach Vollendung der religiösen Rituale wie dem Niederlegen von Blumengirlanden noch auf einen Plausch. Ein Schild warnt davor, im Innenraum zu rauchen, Kippen oder Plastiktüten auf den Boden zu werfen. Aber ansonsten tut sich keiner einen Zwang an. Frei übersetzt bedeutet der Name des Tempels: »Wo man seine Sorgen loswird.«
Nach dem dazwischengeschobenen Termin kommt Mahant Mishra schnell zu seiner Herzenssache. »Die letzten Werte unserer Ganges-Messungen sind wieder ganz besonders schlecht. Der Fluss ist kriminell verdreckt und steckt voller gefährlicher Krankheitserreger. Wir müssen ihn sauber machen, wir müssen das schaffen, was Sie in Deutschland mit dem Rhein geschafft haben.« Schon 1982 hat Professor Mishra seine Sankat-Mochan-Stiftung zur Ganges-Reinigung gegründet, und man kann nicht sagen, der charismatische Umweltschützer hätte darum wenig Wirbel gemacht. Er suchte sich Rat in Europa wie in den USA , gab Interviews, beriet sich mit Wissenschaftler-Kollegen, setzte den Parlamentariern in Neu-Delhi mit Petitionen und Plänen zu. Die Vereinten Nationen ehrten Mishra mit einem wichtigen Umweltpreis, das amerikanische Nachrichtenmagazin Time ernannte ihn zu einem ihrer »Helden des Planeten«. Als Bill Clinton Indien besuchte, wünschte er sich Mishra als Tischpartner beim Dinner. Auch von den einheimischen Politikern erntete er viel Schulterklopfen. »Aber religiöse Ultras und die indische Bürokratie sorgten letzten Endes immer dafür, dass jeder Fortschritt im Keim erstickt wurde«, sagt er verbittert. »Wir müssen endlich handeln.«
Nicht dass es an staatlichen Initiativen und Versprechungen gefehlt hätte. Im Juni 1986 wurde am Dasaswamedh Ghat von dem damaligen Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi feierlich und unter großem Presserummel der »Ganga Action Plan« gestartet, er sollte mit 300 Millionen US -Dollar ausgestattet werden. Es wurden Großprojekte in Auftrag gegeben, hohe Honorare flossen an obskure Firmen und ihre Berater – der wahre Ganges-Kenner, Diplomingenieur und Hydraulik-Experte blieb weitgehend außen vor. Und die Gelder versickerten schnell. Im Hintergrund intrigierten die großen
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