Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Vorwurf historisch zu unterstützen. Gutwilligen auf beiden Seiten war klar, dass man einen Kompromiss finden musste, um dem Konflikt die Sprengkraft zu nehmen. Ein lokales Gericht bestätigte die Notwendigkeit zum Status quo.
Das war die Situation, in der ich Advani interviewte. Seine Stimme war sanft, seine Botschaft von glasklarer Härte. »Es darf nicht sein, dass Hindus in ihrem eigenen Land benachteiligt werden – es ist unsere Religion, unsere Kultur, es sind unsere Werte, die diese Nation groß gemacht haben. Die Geschichte Indiens ist die Geschichte des Kampfs der Hindus um die Erhaltung ihres Glaubens gegen Angriffe von außen.« Und so ging es weiter, bis mir Advani am Schluss des Interviews versicherte, dass er selbstredend andere Religionsgemeinschaften achte und alles, was er sagte, nicht aggressiv gegenüber irgendjemandem gemeint sei. »Das Konzept eines kulturellen Nationalismus respektiert durchaus andere Religionen. Wenn ein gemeinsamer, vereinender Sinn eines ›Amerikanischseins‹ in 400 Jahren herausgebildet werden kann, dann lässt sich das ja wohl auch hierzulande erreichen. Da der Terminus ›indisch‹ erst vergleichsweise jung ist und das große, vereinende Prinzip das Hinduistische ist, sollte das auch so benannt werden.« Es klang bei aller Verbrämung, bei jedem intellektuellen Winkelzug dann doch immer so: Hindus müssen in diesem Land die erste Geige spielen, immer und überall; nur wer bereit ist, sich dem unterzuordnen, kann bleiben. Zum Schluss unseres Gesprächs überreichte er mir ein Buch, das die RSS als »größtes Freiwilligencorps der Welt« pries, und schrieb mir als Widmung hinein: »Wenn Indien enthinduisiert wird, gibt es kein Indien mehr.« Als ich dann noch fragte, wer um alles in der Welt das in diesem Staat denn vorhabe, da winkte er ab. Als wollte er sagen: Der Fremde versteht mich einfach nicht, will es nicht, kann es nicht.
Was Advani wirklich meinte, verstanden aber bald alle. Er machte sich auf zu einem hinduistischen Pilgerzug, um all diejenigen zu ermutigen, die an dem heiligen Platz beten wollten. Nie rief er direkt zur Gewalt auf, aber das Ziel war klar: Weg mit der Babri-Moschee! Er zog sich selbst aus der Schusslinie, Zehntausende aufgeputschter Hindus besorgten den Rest. Am 6. Dezember 1992 stürmten sie das muslimische Heiligtum, trugen es bis auf die Grundmauern ab. Der provokative Akt führte im ganzen Land zu Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen, bei denen mehr als 2000 Menschen starben.
Der BJP bekam die Hetze gut, sie legte bei Wahlen stark zu, konnte die Regierung stellen. 1998 wurde Advani unter dem Parteifreund Atal Bihari Vajpayee Innenminister, später auch stellvertretender Ministerpräsident. An der Macht mäßigten sich die Hindutva-Rechtskonservativen, konzentrierten sich auf die Wirtschaftsprobleme des Landes und den Aufbau des Nuklearpotenzials. Die Scharfmacher um Advani verloren an Boden. In Ayodhya existieren heute religiöse Stätten für Muslime und Hindus nebeneinander. Er selbst sah sich wegen seiner Rolle bei der Zerstörung der Moschee mit einer Klage wegen Volksverhetzung konfrontiert; sie verlief im Sand. Nach der Wahlniederlage der BJP wurde Advani Oppositionsführer, 2009 machte ihn die Partei trotz Korruptionsgerüchten zu ihrem Kandidaten für den Posten des Premiers. Doch diese Wahlen verlor er klar, gab den Vorsitz der BJP ab. Bis heute ist der sanftzüngige Scharfmacher aber politisch höchst einflussreich und versammelt hinter den Kulissen die fundamentalistischen Kräfte um sich. Auch in Varanasi.
Ob der Terroranschlag im dortigen Sankat-Mochan-Tempel im März 2006 allerdings etwas mit der Kränkung hinduistischer Befindlichkeit zu tun hatte, ob er das Werk einer aus Pakistan eingesickerten Terrorgruppe war – vollständig wurde das nie geklärt. Wie an fast jedem Tag hatte an der heiligen Stätte eine Hochzeit stattgefunden, hatten sich Gläubige um neun Uhr morgens zum Gebet versammelt. Vier Menschen starben an Ort und Stelle, Dutzende wurden verletzt, Panik brach aus. Aber nach dem Attentat passierte Erstaunliches: Schon am nächsten Vormittag fanden sich wieder Hunderte Hindus am Tempel ein und beteten, als wäre nichts geschehen. Sie folgten dem Aufruf des Mahant, des Hohepriesters, der die Gläubigen in einer ebenso ergreifenden wie besonnenen Rede gebeten hatte, sich nicht zu verstecken, sondern die Angst zu überwinden. Veer Bhadra Mishra heißt der Tempelvorsteher. Er gehört zu den
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