Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
2006 keinen so prononciert auftretenden Politiker aus dem mächtigen Indien wollten, aus dem Land, mit dem sie Interessen wie Gegensätze haben. Sein Weg zurück nach Indien schien ihn dort zunächst ganz nach oben zu tragen. Er wurde mit seinen Kolumnen und Fernsehauftritten zum Superstar der Medien, in kurzer Zeit hatte er bei Twitter mehr Freunde als jeder andere Inder. Als er fürs nationale Parlament kandidierte, gewann er seinen Wahlkreis in Kerala mit einem Rekordergebnis. Die regierende Kongress-Partei machte ihn in Neu-Delhi zum Staatsminister im Auswärtigen Amt. Doch dann kam der Fall. Weil er seiner Freundin (und späteren dritten Frau) bei der Anbahnung eines Geschäfts mit Insiderinformationen geholfen haben soll, musste er zurücktreten. Tharoor bestreitet bis heute irgendeine Verfehlung, sieht Neider am Werk, gibt allenfalls zu, manchmal vielleicht etwas unsensibel aufgetreten zu sein: Partys mit Bollywood-Stars, Aufenthalte in Fünfsternehotels, Kommentare in der Weltpresse – für den Weltbürger Tharoor, manchmal unsensibel, gelegentlich arrogant und in seiner intellektuellen Brillanz auch überheblich, alles selbstverständlich. Nicht für viele seine Landsleute. Sein Abgeordnetenmandat im Unterhaus von Neu-Delhi hat er behalten, seine Debattenbeiträge vor der Lok Sabha gehören zu den interessantesten. Nicht auszuschließen, dass sein Wissen, sein Durchsetzungsvermögen, sein politischer Instinkt, nun gepaart mit einer Prise Demut, Shashi Tharoor wieder in ganz wichtige Funktionen bringen wird.
Der andere Bekannte aus alten Zeiten heißt Lal Krishna Advani. Für ihn ist Säkularismus ein Schimpfwort. Ziel seines Denkens und Wirkens ist die (Wieder-)Erschaffung einer einzigen Hindu-Nation. »Hindutva« heißt seine Bewegung. Andere Religionen sollen zwar toleriert werden, aber müssten sich in Indien der einen, der »wahren« unterordnen. Schon äußerlich wirkt er wie ein Gegenpol zu Tharoor. Keine westlichen Maßanzüge oder Designer-Krawatten, sondern immer nur weiße Baumwollhemden und traditionelles Beinkleid. Misstrauen gegenüber allem Fremden, übergroßes Vertrauen in die eigene Nation. Kernaussage: »Das 21. Jahrhundert wird das indische Jahrhundert sein. Indien kann zum Vorbild der Welt werden, zu einem Guru der Nationen.« Bei unserem ersten Treffen Ende der Achtzigerjahre witterte er in jeder kritischen Frage den ausländischen Agenten, der versuchte, sein großes Volk niederzumachen.
Aber Advani war nie ein unbeherrschter, feuriger Scharfmacher wie jener Bal Thackeray, den ich in Bombay kennengelernt und porträtiert habe und der mir in vielfacher Weise als sein Seelenverwandter vorkam. Advani gehört mehr zu den Distinguierten, den Höflichen, den Wohlerzogenen, die ihre Radikalität hinter intellektuellen Floskeln verstecken. Außerdem ist er eine ganze Generation älter als Tharoor. Wie der nette Onkel von nebenan wirkt er bis heute, weißer Bart, gutmütiges Lächeln.
Geboren 1927 in Karatschi, wuchs er auf in Hyderabad und Bombay, wo er Rechtswissenschaften studierte. Schon früh trat er der Rashtriya Swayamsevak Sangh ( RSS ) bei, einer radikalen Hindu-Organisation. Sie wurde zwischenzeitlich verboten, als Nathuram Godse, eines ihrer Mitglieder, Mahatma Gandhi ermordet hatte – er wollte nach eigenen Worten die »Appeasement-Politik Gandhis gegenüber den Muslimen« verhindern. Der RSS -Führung ließ sich damals keine direkte Mittäterschaft nachweisen, 1949 wurde das Verbot wieder aufgehoben. Advani machte in der Kaderorganisation Karriere, diente sich dann in diversen rechts-konservativen Parteien nach oben. 1977 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Bharatiya Janata Party ( BJP ). 1986 wurde er ihr Präsident. Als die Kongress-Partei 1989 die Wahlen verlor, wurde Advani zum ersten Mal Minister, zuständig für »Pensionen und öffentliche Beschwerdeangelegenheiten«. Bald war er in der indischen Politik weit wichtiger, als die obskure Funktion es andeutete, zog im Hintergrund die Fäden für eine neue nationalistische, antisäkulare Politik. 1989 rief er eine Bewegung ins Leben, die den Geburtsplatz des Gottes Rama schützen sollte. Die BJP unter seiner Führung forderte, die Babri-Moschee bei Ayodhya abzureißen – just dort, wo Rama angeblich zur Welt kam und Hindus vor Urzeiten einen Tempel errichteten, hätten Muslime eine Moschee gebaut. Der sunnitische Weltkongress nannte das unrichtig, eine archäologische Studie schien den von Hinduisten erhobenen
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