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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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Infrastrukturverbesserung gepriesen werde, sei für die in der Favela Verbliebenen uninteressant, da kaum erschwinglich.
    Das Fazit der Kritiker: »Im Namen der Zukunft zerstört Rio seine Vergangenheit. Die Stadt ist dabei, ein Spielplatz nur für die Reichen zu werden, Ungleichheit aber fördert Instabilität.« Die Aktivisten machen sich die Stärken der demokratischen Entwicklung Brasiliens zunutze – sie organisieren sich, anders als das etwa in China möglich wäre, ungestört über soziale Netzwerke.
    Natürlich widerspricht der Bürgermeister diesem Frontalangriff, obwohl Amnesty International in seinem Jahresbericht 2013 die Zwangsräumungen ebenfalls bestätigt und scharf verurteilt. Härten, sagt er, seien nie auszuschließen. Aber er tue alles, um sie zu vermeiden – der Rundumschlag ist nach seiner Ansicht eine Einzelmeinung. Das stimmt nicht ganz. Auch die Bürgerrechtsbewegung Rio de Paz hat sich der grundsätzlichen Kritik angeschlossen. Ihr Chefdenker Antonio Costa fürchtet: »Am Ende werden wir eine Fläche rund um die Olympia-Schauplätze haben, die Rio von seiner besten Seite zeigt. Die Ober- und Mittelschicht werden jubeln. Die Ärmsten aber werden zahlen für die Spiele, womöglich sogar mit ihrem Blut. Denn die Polizeiaktionen kosten Menschenleben. Mehr noch: Die kriminellen Banden suchen sich neue Reviere in den Stadtvierteln, die wegen Olympia nicht im Fokus der Sicherheitsstrategie stehen.«
    Um die Nähe seiner Organisation zu den Unterprivilegierten zu demonstrieren, hat der Chef von Rio de Paz sein Büro in einer der gefährlichsten Zonen der Stadt aufgeschlagen. »Gazastreifen« nennen die Einheimischen das Gebiet. Nicht weniger schlimm ist die Gegend um die Guanabara Bay. Die Meeresbucht an der Westseite der Metropole war einst für ihr kristallklares Wasser und als bevorzugtes Territorium für Tümmler und Delfine bekannt. Lange her. Heute ist Guanabara eine Müllkippe im Meer und steht für eines der Hauptprobleme der Metropole: Nicht einmal jeder zweite Haushalt ist hier an eine Kläranlage angeschlossen. Jede Sekunde fließen zehntausend Liter Abwasser und Fäkalien in die Bucht. Viel Unrat kommt aus den Favelas, wird direkt oder über illegale Rohre ins Wasser geleitet. Aber auch die Industrie ist Großverschmutzer. Immer wieder heißt es, das Milliardenunternehmen Petrobras benutze Guanabara heimlich als Kloake. Das Unternehmen bestreitet das vehement. Fest steht, dass in der Bucht weiter draußen nach Öl gebohrt wird und durch Unfälle und Lecks schon Millionen Liter ausgelaufen sind.
    Die Fischer von Guanabara haben sich zur Gewerkschaft Ahomar zusammengeschlossen, 80 Prozent der Bestände seien in den letzten Jahren verloren gegangen, sagen sie und verfolgen ihre Ziele mit aggressiven Kampagnen. Sie leben gefährlich: In den letzten fünf Jahren sind schon vier ihrer Mitglieder von Unbekannten ermordet worden. Der jetzige Ahomar-Chef Alexandre Anderson de Souza hat mit Glück mehrere, bis heute ungeklärte Anschläge überlebt. Zwar sind er und seine Frau in ein staatliches Schutzprogramm aufgenommen worden, aber internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty halten die Vorkehrungen für unzureichend und fordern eine intensivere Untersuchung der abenteuerlichen Vorgänge.
    Die Behörden haben es versprochen. Der umtriebige US -Investor Donald Trump mischt mit. Und der umstrittene einheimische Milliardär Eike Batista – immer zur Stelle, wenn es um spektakuläre Ansagen geht – will mithelfen, Rios Buchten spätestens bis zu den Spielen 2016 sauber zu kriegen. Rio, meint er, solle sich von Grund auf ändern. Weg vom chaotischen Bombay, dem Rio seiner Meinung nach heute so sehr ähnelt. Sein Traum gleicht dem des Bürgermeisters: Die Samba-Stadt, die vor einem Jahrzehnt noch so heruntergekommen und kriminell war, dass man Touristen und Geschäftsleute warnen musste, und die heute in manchen Gegenden immer noch eine belagerte Metropole ist, soll Modell für andere Megacities werden, europäischer, deutscher. »Sie haben den Rhein doch auch sauber gekriegt«, sagt Bürgermeister Paes.
    Als einzige Auszeit bleiben ihm die fünf tollen Tage, die sich auch die gesamte Stadt jedes Jahr nimmt: der Karneval. »Das ist der Zeitpunkt, meine Aufgaben dem großartigen König Momo zu übergeben, damit sich die Stadt unter seiner Regentschaft amüsiert. Mögen Friede und Freude herrschen«, sagte Paes zuletzt im Februar 2013; er trug aus diesem Anlass einen Panamahut und hatte

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