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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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waren grundsätzlich leer, Telefonanschlüsse waren nur unter der Hand zu ergattern und in Dollar (um die dreitausend), selbst Hörer und Buchsen Mangelware. Die Rettung kam durch einen Carioca. Der Politiker und Finanzfachmann Fernando Henrique Cardoso tat sich mit den besten Ökonomen des Landes zusammen und heckte den »Plano Real« aus. Parallel zum alten Cruzeiro wurde eine neue Währung eingeführt, die an den Dollar gekoppelt war. Die »wirkliche Werteinheit« setzte sich im Alltag immer mehr durch, 1994 wurde daraus der neue Real. Die Inflation sank, der Warenstrom nahm zu, der Real wurde zu einer international geachteten und stabilen Währung. Cardoso, nominell ein Konservativer, von seiner Politik her aber eher ein liberaler Sozialdemokrat, wurde zum Präsidenten gewählt. Da war Eduardo Paes gerade 25 und begann – noch ganz im Geheimen und als politischer Novize – an der Verwirklichung seines Rio-Traums zu arbeiten: ein Bürgermeister in spe. Bei seinem Amtsantritt war er 39.
    Paes liebt Großprojekte. Beispielsweise die »Brücke des Wissens«, eines der neuen Wahrzeichen der Stadt. Das spektakuläre Bauwerk spannt sich 780 Meter lang über die Bucht in der Nähe des Flughafens und verbindet unweit der Universität zwei der wichtigsten Autobahnen. Die Brücke wird auch eine Art Bindeglied zwischen dem neuen Olympischen Dorf und dem Flughafen sein und soll die Wiedergeburt des so lange vernachlässigten Hafenviertels symbolisieren. »Sie schwebt wie eine Harfe, wie eine Gitarre, wie ein Vogel über der Stadt«, schwärmte eine der lokalen Zeitungen und lobte den Architekten Alexandre Chan über alles. 20 Millionen Euro hat die Seilbrücke gekostet, »sie ist schön, sie ist praktisch, sie wird uns noch Jahrzehnte nach Olympia erfreuen«, sagte der Bürgermeister bei der Einweihung im Februar 2012.
    Weniger gerne hört Paes von Schmiergeldzahlungen in Verbindung mit der »Wissensbrücke« – so etwas kommentiert er nicht. Aber das futuristische Bauwerk zeigt auch, wie sehr Rio immer noch mit den Dämonen der Vergangenheit und den Wirren der Gegenwart zu kämpfen hat. Denn nach Recherchen des Nachrichtenmagazins Veja musste die ausführende Firma Queiroz Galvão Gangsterbanden Schutzgelder in Höhe von 40000 Euro monatlich bezahlen, insgesamt fast zwei Millionen. Die Erpresser beherrschen die Favela Complexo da Maré, an der entlang die neue Konstruktion führt. Der riesige Slum mit über hunderttausend Menschen gehört zu den düstersten Gegenden der Stadt, Drogenbarone kontrollieren die engen Gassen. Complexo da Maré ist eine der Favelas, in die sich die UPP noch nicht gewagt hat – eine Problemzone, weit entfernt davon, befriedet zu sein. Hohe Barrikaden sollen das Armenviertel aus dem Sichtfeld verbannen, wenn Olympioniken und VIP -Gäste zum großen Sportfest in die Stadt kommen. Das sei eine Schallschutzwand, behaupten die Behörden, sie diene den Favelabewohnern. Aber diese Argumentation erntet Kopfschütteln und zynische Kommentare.
    Zwei der prominentesten Publizisten der Stadt plädieren für den Erhalt und die Renovierung der in Hafennähe gelegenen Favela Morro da Providência, die nach den Planungen zu über einem Drittel für Olympia-Bauten niedergewalzt werden soll. Providência sei von großer historischer Bedeutung, 1897 gegründet von Kriegsveteranen und dann von befreiten Sklaven ausgebaut. »Mit ihrem Blick auf das Ufer, wo Hunderttausende Afrikaner erstmals ihren Fuß auf brasilianische Erde setzten, ist Providência einer der wichtigsten kulturellen Orte der Geschichte, wo die ersten Samba-Lieder komponiert wurden, religiöse Traditionen wie Capoeira und Candomblé blühten. Auch heute noch sind 60 Prozent der Bewohner Afrobrasilianer und Teil dieser großen Tradition«, schreiben Theresa Williamson und Maurício Hora. Anders als von der Stadt behauptet, würden die allerwenigsten Providência-Bewohner von den privaten Investoren überhaupt über ihr Schicksal informiert, geschweige denn ausreichend entschädigt. Dazu komme, dass nur etwa jeder Dritte in den Favelas über ausgewiesene Eigentumsrechte verfüge. »Brutale Vertreibungen der Menschen aus ihren Häusern sind an der Tagesordnung«, behaupten die Bürgerrechtler und unterstellen, die Vertriebenen würden weit außerhalb der Stadt angesiedelt. Dort aber verlören sie ihre sozialen Kontakte und die Nähe zum Arbeitsplatz. Die geplante luxuriöse Schwebebahn, die über das Gebiet führen solle und als

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