Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
grassierende organisierte Verbrechen. Bo lässt Alleen von Bäumen pflanzen, steckt Hunderte Millionen in den sozialen Wohnungsbau, legt ausländischen Investoren den roten Teppich aus. Vor allem aber gibt er im Anti-Mafia-Kampf den unerbittlichen Saubermann. Dazu holt er sich einen Freund und Polizeiexperten aus Liaoning-Tagen: Wang Lijun, den »Mann mit Eisen im Blut«, wie ihn der Volksmund nennt. Von Bo Xilai angetrieben, greift der rücksichtslos gegen die »schwarzen Übel« wie Erpressung, illegalen Waffenbesitz und Schutzgeldzahlungen durch. Innerhalb von zwei Jahren werden in der Stadt mehr als 5700 Menschen verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, Hunderte in Schnellgerichtsverfahren verurteilt und exekutiert.
Die Kampagne mit dem Decknamen »Dahei« (etwa: »Schafft sie weg!«) ist im Volk durchaus populär, auch internationale Politiker wie Henry Kissinger reisen an und lassen sich zu gemeinsamen Auftritten mit Bo hinreißen. Das »Chongqing-Modell« mit seiner brachialen Durchsetzungskraft wird noch 2011 von vielen als möglicher Gegenentwurf zum abgehobenen, graumäusigen Pekinger Partei-Stil gefeiert. Obwohl schwer zu übersehen ist, wie willkürlich der Möchtegern-Mao bei den Verhaftungen vorgeht, wie er mit seiner Kampagne auch einfach nur missliebige politische und wirtschaftliche Rivalen ausschaltet, jeden Hauch von Rechtsstaat außer Kraft setzt. Und immer wieder gibt es auch Gerüchte über sexuelle Ausschweifungen des Parteichefs, über eine ganze Reihe von Konkubinen.
Bo Xilai soll bei Gesprächen mit seinen engsten Freunden kein Hehl daraus gemacht haben, dass er sich selbst als Alternative zu Xi Jinping sieht. Der Charismatische glaubt sich wegen seiner Herkunft als »Prinzling« und wegen seiner »maoistischen« Popularität unantastbar. Das macht die Pekinger Parteispitzen zunehmend nervös. Sie leuchten diskret Bos Umfeld aus – und stoßen auf Dinge, die sie atemlos machen, die sie sogar einen Putsch befürchten lassen. Bo hat bei den Besuchen Pekinger Größen die Hotelzimmer verwanzt und Telefongespräche mitschneiden lassen, darunter – nach Insider-Informationen – eine brisante Unterhaltung zwischen der Pekinger Antikorruptions-Zarin Ma Wen und Parteichef Hu Jintao im August 2011.
Zu dieser Zeit ahnt Bo wohl noch nichts von kommenden politischen Stürmen, ihn beschäftigen familiäre Probleme. Im Internet kursieren Fotos seines Sohnes Guagua, 23, die ihn neben leicht bekleideten Damen halbnackt und offensichtlich betrunken bei Partys zeigen. Oder auch mal in einem Porsche, vor der Haustür eines amerikanischen Luxusapartments – zu einer Monatsmiete, die gut zwei Jahreslöhnen eines chinesischen Wanderarbeiters entspricht, und einem Dreimonatsgehalt seines Vaters. Die Diskussion, wie der Junior das alles finanziert, braucht Bo Xilai nun wirklich nicht. Seine Frau soll Guagua die Leviten lesen. Doch längst schon ist die Anwältin ein Nervenbündel. Das hat offensichtlich mit den Geldern zu tun, die von der Familie ins Ausland verschoben wurden, von mindestens 22 Millionen US -Dollar, möglicherweise aber auch vom Zehnfachen ist die Rede. Gu Kailai hat nach späteren Aussagen ihrer Untergebenen in Chongqing einen regelrechten Hofstaat unterhalten. Sie hat ihre Untergebenen tyrannisiert, auch Geschäftspartner Neil Heywood, dem sie unterstellt, ihrem Sohn mit allen Mitteln schaden zu wollen. Tatsächlich soll der Brite ihr gedroht haben, den Junior »auffliegen« zu lassen, wenn es keine Einigung mit der Anwältin über die »ihm zustehenden« Provisionen aus illegalen Auslandstransfers gebe. Der ausländische Mitwisser wird für die Familie zum Problem. Er ist mehr als ein Störenfried. Ein potenzieller Karrierekiller.
Im November 2011 bestellt Kailai ihn ein, Treffpunkt Lucky Holiday Hotel, auf einem Hügel außerhalb Chongqings. Heywood erzählt Freunden, dass ihm nicht wohl sei bei dem Termin. Aber es ist gleichzeitig der 53. Geburtstag seiner langjährigen Geschäftspartnerin, da kann er nicht absagen. Was sich dann in den leicht heruntergekommenen Räumen mit den senffarbenen Tapeten und den Wasserfall-Fotos an den Wänden abgespielt hat, lässt sich nur als skrupellosen Mord bezeichnen. Chongqings First Lady soll Heywood mithilfe eines Untergebenen betrunken gemacht und ihm einen vorbereiteten Gifttrank eingeflößt haben. Den plötzlichen Tod des 41-Jährigen erklären die Behörden als Herzversagen, die Leiche wird rasch eingeäschert. Das Problem wäre aus der Welt
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