Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Schicksal herbeizuzwingen. Das neu besetzte Politbüro äußert sich nicht direkt zum Fall, für die Mitglieder ist der Mann eine Unperson. Nur so viel: »Eine Handvoll Parteimitglieder ist korrupt und degeneriert. Wir werden mit unqualifizierten Mitgliedern in einem angemessenen Zeitraum umgehen.«
Für manche bleibt Bo Xilai ein Held, eine verfolgte Unschuld. »Dabei ist Mitleid mit ihm völlig unangebracht. Er hätte das Land in einen Polizeistaat geführt«, sagt der sonst so verschwiegene Anwalt Li Zhuang bei einem Treffen mit meinem SPIEGEL -Kollegen, dem damaligen Peking-Korrespondenten Wieland Wagner, und mir in einem Teehaus. Li weiß, wovon er spricht. Er hat in Chongqing Angeklagte vertreten; einem riet er, sein unter Folter erzwungenes Geständnis zu widerrufen. Der Jurist solle solche Aufwiegelung gegen die Staatsgewalt unterlassen, übermittelte ihm Bo. Li aber ließ sich nicht abschrecken – und kam 2009 selbst als Angeklagter vor Gericht. Er wurde zu 18 Monaten Haft verurteilt. »Bos Schergen haben mich im Gefängnis regelmäßig gefoltert, ich bin sicher, sie haben es auf seine ausdrückliche Anweisung getan.« Der Anwalt gilt als unabhängiger Geist, unverdächtig, die offizielle Parteilinie nachzubeten. Er ist heute rehabilitiert und sagt: »Durch Bo Xilais Sturz ist China manches erspart geblieben.«
Hefei, dröge Provinzhauptstadt von Anhui, Geburtsort eines Helden, der hier während der Song-Dynastie im 11. Jahrhundert mit der Korruption aufgeräumt und besonders faire Gerichtsurteile gesprochen haben soll. Aber nicht deshalb, sondern eher wegen seiner großen Entfernung zu Peking und Chongqing und wegen eines ortsansässigen, als besonders gefügig geltenden Generalstaatsanwalts findet hier im Sommer 2012 der mit Hochspannung erwartete Prozess gegen Bo Xilais Ehefrau statt. Wegen der Herkunft des Mordopfers müssen britische Diplomaten zugelassen werden. Internationale Journalisten bleiben ausgesperrt.
Nur sieben Stunden dauert die Farce, keine Beweisaufnahme, keine Zeugen: eine einzige juristische Enttäuschung ist dieser »Nicht-Jahrhundertprozess«, der an kommunistische Schauprozesse erinnert (so der New Yorker ). Gu Kailai, aufgeschwemmt das Gesicht und in grauer Kluft, zeigt sich voll geständig und nimmt alle Schuld auf sich. Als mildernde Umstände führen ihre staatlich bestellten Anwälte die Sorge um den von Heywood »bedrohten« Sohn an, zeichnen das Bild eines nur sehr eingeschränkt zurechnungsfähigen, nervlichen Wracks. Ihr Mann kommt beim Prozess nicht vor, worum es bei der »geschäftlichen Auseinandersetzung« mit dem Briten gegangen ist, wird nur schemenhaft deutlich. Keine Rede von den millionenschweren Immobilienkäufen im Londoner Luxusviertel South Kensington, die auf den Britischen Jungferninseln über eine Briefkastenfirma getätigt wurden. Wenige Tage später wird Kailai, deren Vorname so viel bedeutet wie »die Zukunft umarmen«, zu einer suspendierten Todesstrafe verurteilt. Ein eher mildes Verdikt, denn in der Regel bedeutet das nach zwei Jahren Umwandlung in eine lebenslange Haftstrafe. In ihrem Schlusswort bedankt sich die Angeklagte artig für die »humanitäre Fürsorge«, die man ihr zuteilwerden ließ – fröstelnde Anklänge an Prozesse, wie sie Stalin liebte.
Noch wenige Wochen vor dem intern immer wieder verschobenen Parteitag Ende 2012 zeigt sich die KP hypernervös. Die Pekinger Internetzensur heizt Spekulationen an, indem sie mit aller Härte gegen Blogger vorgeht und zwischenzeitlich Begriffe wie »Bo Xilai«, »Putsch«, »Gewehrfeuer« und sogar »Wahrheit« auf den Index setzt. Andererseits knicken die KP -Oberen bei fast jedem öffentlichen Protest sofort ein. Nach Straßendemonstrationen wird der schon genehmigte Bau von Fabriken in Sichuan und Heilongjiang, die im Verdacht standen, die Umwelt besonders zu verschmutzen, über Nacht gestoppt. Die politische Führung sucht nun plötzlich den Schulterschluss mit dem Volk. Sie hat in der Affäre Bo Xilai eine schwere Niederlage erlitten, der Mythos von der Überlegenheit des autoritären chinesischen Systems ist erschüttert. Die Volksrepublik besitzt keine rechtsstaatlichen Mechanismen, um seine Führer auf friedliche Weise auszutauschen – und hat das gerade gegenüber seinem zunehmend zynischer reagierenden Volk schmerzlich demonstriert. Der vermeintliche Wettbewerbsvorteil der Einparteienherrschaft könnte langfristig zum größten Unsicherheitsfaktor werden.
Und noch einmal vor seiner
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