Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Energische hat es der Vorsichtige beim Parteikongress in das Komitee der Top Neun geschafft. Er wird zum Cheforganisator der prestigeträchtigen Olympischen Spiele in Peking ernannt. Und dem parteiinternen Ranking zufolge wird bald klar, dass bei der für Herbst 2012 anberaumten Verjüngung der Parteispitze kein Weg an ihm vorbeiführen soll, dass er für die höchsten Weihen gesalbt wurde. China will der westlichen Welt Transparenz zeigen: Seht her, wir sind berechenbarer als ihr, so sieht er aus, unser kommender Führer. 2008 folgt der Aufstieg zum Vizepräsidenten, Auslandsreisen führen Xi nach Lateinamerika, Japan, Europa einschließlich Deutschland. Überall gibt er den verbindlichen, umsichtigen Konsenspolitiker. Er sei kein intellektueller Überflieger, aber »berechnend, selbstbewusst und konzentriert«, heißt es in den US -Botschaftsdepeschen, ein Pragmatiker, der »kalt« zum rechten Zeitpunkt die richtige Karte ausspiele. Kein chinesischer Gorbatschow, demokratischen Reformen stünde er ebenso skeptisch gegenüber wie einer neureichen Klasse, die ihre Würde und den Respekt gegenüber anderen verloren habe.
Xi Jinping soll sich für klassische Kampfsportarten, auch für die Lehren des tibetischen Buddhismus begeistern, den 14. Dalai Lama aber will er, ganz auf Partei-Linie, weiter als »Spalter« bekämpfen – strenger als sein Vater, der eine Schwäche für den sanften Religionsführer hatte, in seinen späten Jahren eine von ihm geschenkte handgefertigte tibetische Uhr am Handgelenk trug. In seiner spärlichen Freizeit sieht Xi Jinping gern Hollywood-Filme mit Action-Helden, etwa Steven Spielbergs Weltkriegs-Epos Saving Private Ryan . Aber auch der kritische einheimische Filmemacher Jia Zhangke imponiert ihm, was einen Hauch von Liberalität erhoffen lässt. Ansonsten heißt sein Prinzip: Fehlervermeidung, Harmonieverbreitung. Das gelingt Xi Jinping fast durchgehend. Nur einmal, 2008 auf einer Auslandsreise, als er die Mikrofone der Journalisten ausgeschaltet glaubt, redet er Klartext gegen westliche Kritiker. Gegen »diese gelangweilten Ausländer mit ihren vollen Mägen, die nichts Besseres zu tun haben, als mit dem Finger auf uns zu zeigen. Denen sage ich: Erstens exportieren wir keine Revolution, zweitens tragen wir nicht Hunger und Armut in die Welt hinaus, und drittens verursachen wir durch unsere Aktionen niemandem Kopfschmerzen.«
Und dann ist da noch dieser unselige Trip im Dezember 2010 zum Konkurrenten, zu Bo Xilai in dessen Stadt, sein öffentliches Lob für den Mao-Imitator. Da hätte er sich besser zurückgehalten. Zwar haben sich viele ranghohe Politiker in den vergangenen Jahren zu einem Pilgertrip nach Chongqing aufgemacht, aber Präsident Hu und Premier Wen eben nicht; die erkannten rechtzeitig, dass sich da Bedrohliches zusammenbraute. Dass es um Bo Xilai, seine Frau und deren britischem Berater zu Mord und Totschlag kommen würde, zu einem versuchten Putsch gegen die Parteispitze und zu einem Jahrhundertprozess, der die ganze Nation mitsamt der regierenden Partei durcheinanderwirbelt, können aber auch sie nicht geahnt haben.
Chongqing, am Zusammenfluss zwischen Jangtsekiang und Jialing gelegen, 1500 Kilometer von den prosperierenden Küstenregionen entfernt, 33 Millionen Einwohner, eine Stadtprovinz von der Größe Österreichs. »Schmelzofen« heißt sie im Volksmund, wegen der unerträglich glühenden Sommer und wohl auch wegen der umweltverpestenden Schwerindustrie. »Doppelte Feier« bedeuten die chinesischen Schriftzeichen, dabei hatte dieses Chongqing, 1939 monatelang japanischen Bombardements ausgesetzt und 1945 Ort ergebnisloser Verhandlungen zwischen Generalissimus Chiang Kai-shek und dem Revolutionär Mao, in seiner Geschichte eigentlich nie etwas zu feiern.
In diese Problemstadt also haben sie Bo geschickt, in diesen schwierigen Ort der Bewährung. Vom ersten Moment an agiert er dort wie Mao II. Er hat sich ein geniales Konzept ausgedacht, das ihn gegenüber den ihm wenig wohlgesonnenen Parteioberen immun machen soll: Er pflegt demonstrativ die Rückbesinnung auf den Großen Vorsitzenden, dessen Disziplin, dessen Volksnähe. Er verordnet öffentliche Mao-Lesungen, baut ihm neue Statuen, lässt in den Schulen »rote« Lieder singen, morgens, mittags, abends. Und mischt sich, ganz ungewöhnlich für einen KP -Kader, bei Sprechstunden unter die Bürger, hört sich ihre Nöte an. Klagen kommen vor allem über die schlechte Luft, die Wohnungsnot, fehlende Jobs, das
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