Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
hässliche Fernsehturm, typisch auch das dreißigstöckige Hotel mit dem Drehrestaurant, das in den zweitrangigen grauen Städten der Volksrepublik als Zeichen von Fortschritt gilt. Hierher verschlägt es 1993 Bo Xilai als Bürgermeister. Sieben Jahre lang wirkt und wirbelt er in der Stadt, drückt ihr seinen eigenwilligen, seinen individuellen Stempel auf. Dalian wird herausgeputzt, als solle es einen Wettbewerb um Chinas schönste Stadt gewinnen: Parks angelegt, Häuser restauriert, Straßen verbreitert. Und überall lässt Bo importiertes Ziergras anpflanzen. Er umwirbt ausländische Investoren, bietet ihnen steuerliche Sonderkonditionen. Doch gleichzeitig zeigt er sich nationalbewusst, lässt zur Rückgabe der Kronkolonie Hongkong eine gigantische Marmorsäule errichten. Und übt sich in einer Disziplin, die sonst in der auf äußerliche Bescheidenheit programmierten Partei verpönt ist: im Personenkult. Bo trägt Maßanzug und chauffiert einen Jaguar. An der Uferpromenade entsteht ein Messingrelief mit Fußabdrücken Dalianer Bürger. Alle gleich groß, bis auf die des Bürgermeisters. Die sind so bemessen, als besäße der erste Mann der Stadt Siebenmeilenstiefel. Und ragen golden heraus.
Sein einst verfolgter Vater Bo Yibo ist Ende der Neunzigerjahre rehabilitiert, zählt wieder zu den »Unsterblichen« der Partei – und trommelt für die Karriere seines Sohns. »Ein Staatsmann wie Henry Kissinger, umweltbewusst wie Al Gore, fast so beliebt wie Prinzessin Diana«, dichtet ein von ihm bestallter PR-Berater. Und doch geht es noch nicht ganz so raketenhaft nach oben, wie der Clan es sich vorstellt. Langsam wird auch die schöne und erfolgreiche Frau an seiner Seite ungeduldig: Gu Kailai, Gattin Nummer zwei. Auch sie sieht sich auf dem Weg zum Superstar. Als Anwältin hat sie in den USA für Dalianer Unternehmer einen spektakulären Prozess gewonnen und darüber – unter dem Pseudonym »Horus«, der ägyptischen Kriegsgöttin – ein Buch geschrieben: »Wie man in Amerika Recht behält«. Darin steht ein Schlüsselsatz, der sie bis heute verfolgt: »In Amerika gibt es für Mörder diese endlosen Aufschübe vor der Hinrichtung, wir in China fackeln nicht lange, wir richten Mörder hin.«
Immer mehr westliche Geschäftsleute gestehen heute, dass sie in Dalian nur zum Zug kamen, wenn sie sich auf hohe Provisionszahlungen einließen. Die Bürgermeister-Gattin wirkte dabei wie eine Art Bezahlschranke, sie stellte die juristischen Ampeln fürs Big Business erst auf Grün, wenn Gelder unter der Hand flossen. Dabei nutzt sie häufig die Dienste eines vertrauten Mittlers, des in Dalian ansässigen britischen Geschäftsmanns Neil Heywood. Er hilft dem Power Couple auch, seinen einzigen Sohn Bo Guagua in den exklusiven Londoner Schulen Papplewick und Harrods unterzubringen. Um ihn zu betreuen, zieht die Mutter mehre Monate mit nach England, geht ein und aus in den teuersten Fünfsternehotels.
Kritische Beobachter monieren, der Fortschritt in Dalian sei nur oberflächlich. Aber die Stadt blüht, gewinnt für ihre Umweltpolitik internationale Preise. Bo Xilai wird zum Gouverneur der Provinz Liaoning befördert, 2004 dann zum Handelsminister der Volksrepublik. Doch das sind in seinen Augen, wie er Freunden gesteht, nur Trostpreise: Er will ins Zentrum der Macht. Er ist fest davon überzeugt, beim 17. Parteikongress im Oktober 2007 werde er mindestens zum Vizepremier ernannt. Er schafft es dann zwar ins Komitee der 25 Top-Politiker, aber eben nicht in den entscheidenden Kreis der Neun. Und die Partei will ihn nicht in Zhongnanhai haben, sie schickt ihn noch einmal in die Provinz, fernab des großen nationalen und internationalen Geschehens, in die mittelchinesische Problemstadt Chongqing. Sein Vater, der große Karriere-Unterstützer, ist gerade gestorben, und es sieht so aus, als sei Bo Xilai zu einer politischen Rolle in der zweiten Reihe verdammt, als verglühe sein Stern. Er weiß, dass er ungewöhnliche Taten vollbringen muss, um seinen Traum von der Mao-Nachfolge zu erreichen. Sensationelle Taten. Und da muss er seinen Entschluss gefasst haben, Chongqing zum Gegen-Peking aufzubauen.
Zhongnanhai, Regierungssitz des größten Volkes der Erde, das »Tor zum neuen China«. Auf der traditionellen Geistermauer steht in der Originalhandschrift des Großen Vorsitzenden eingraviert, was so oft (und gerade von ihm) schon verraten wurde: »Dem Volke dienen!« Xi Jinping hat sich da 2007 bereits durchgesetzt, anders als der
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