Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
und vermutlich gegen ein sehr hohes Lösegeld wieder frei. Der traumatisierte Tycoon hat seitdem seine öffentlichen Auftritte auf ein Minimum beschränkt. Interviews gibt er nach Aussagen seiner Privatsekretärin »exakt eines alle zehn Jahre«. Im Jahr 2000 hatte ich die Ehre. Allerdings erst, nachdem ich ihm ernstes Interesse an seinem Lebensweg nachweisen konnte – es war ein heißer Tipp seiner Vorzimmerdame, die mich zur Vorrecherche in seine 400 Kilometer entfernte Geburtsstadt aufs Festland geschickt und mir so den Vorsprung vor anderen Journalisten verschafft hatte. In der Küstenstadt Shantou in der Provinz Guangdong hatte ich die Li Ka-shing-Universität besucht, die der Sohn der Stadt ebenso mit Millionengeldern unterstützte wie das örtliche Krankenhaus, sein Geburtshaus und den Friedhof, auf dem sich der von allen nur »Superman« Genannte schon lange einen Grabplatz ausgesucht haben soll.
Sein Hauptquartier in Hongkong heißt Cheung Kong Center, der siebzigstöckige Glaspalast liegt mitten in der Glitzermetropole und bietet einen perfekten Rundblick. In Wirklichkeit sind es nur 62 Etagen, alle mit der im Chinesischen als Unglücksziffer bekannten Vier fehlen. Für den traditionsbewussten Chinesen war es auch selbstverständlich, bei der Architektur des Gebäudes einen Feng-Shui-Meister zu Rate zu ziehen, einen Geomanten, der mithilfe seiner geheimnisvollen, Jahrtausende alten Erfahrungen Wind und Wasser in Einklang brachte – keine Chance mehr für böse Drachen, die Geschäfte zu stören. Und weil es wichtig ist für einen traditionsbewussten Chinesen, den Segen seines Clans auch über Lebzeiten zu besitzen, verneigt sich Li jeden Abend vor dem Schrein der Ahnen. Er geht auch einmal im Jahr zum traditionellen »Knochenputzen«, dem Zwiegespräch mit den familiären Verstorbenen, auf den Friedhof.
Im Aufzug zeigt ein Monitor die Börsenkurse weltweit. Schwarze Kurven nach oben, rote nach unten, und ständig blinken irgendwelche Zahlen. Die Einrichtung im Chefbüro direkt unter dem Himmel aber führt weg von der Tageshektik. Sie ist zeitlos und vom Feinsten: Sechs massive Kronleuchter erhellen einen opulenten Konferenzraum mit Ming-Vasen und kostbaren Kalligrafien. Ein chinesischer Ziergarten lädt zur Kontemplation, ein riesiger Pool, von einem Wandschirm abgetrennt, zum Entspannen. Li Ka-shing sagt, der Luxus sei für seine Geschäftspartner, er brauche ihn nicht. Er bevorzugt billige Plastikschuhe und Anzüge von der Stange. Er trägt immer eine Seiko-Uhr, deren Kaufpreis unter hundert Euro liegt. Dass er diese Bescheidenheit betont, ist natürlich auch ein Stück Berechnung, ein Schutzschild gegenüber Mitarbeitern und Geschäftspartnern: Seht her, ich bin nie abgehoben, ich mache Deals nach wie vor per Handschlag, die Details können später die Anwälte aushandeln.
Die meiste Zeit während des Interviews wirkt er sehr selbstsicher. Nur ganz selten, wenn ihn etwas stört oder er einen Moment nicht weiterweiß, dann nimmt er seine dicke Hornbrille ab und starrt nachdenklich in die Ferne, wie ein ratloser Handlungsreisender. Jetzt ist so ein Moment. Li hat die Frage nicht verstanden. »Ob ich jetzt in meinem hohen Alter aufhören soll …?« Pause. »Offen gesagt, ich habe nicht viele Hobbys. Noch immer läuft es mir kalt den Rücken hinunter, wenn mir ein richtig gutes Geschäft gelingt. Glück, das heißt für mich, hart zu arbeiten und ordentliche Gewinne zu erzielen.« Aber irgendwie klingt ihm das zu eindimensional, und hastig setzt er hinzu: »Geld spielt nicht die erste Rolle in meinem Leben. Einige sind bereit, für Erfolg im Leben ihr Wertesystem, ihre Integrität zu opfern. Ich gelte als harter Verhandler, aber fragen Sie meine Business-Partner weltweit: Nie ist das auf Kosten der Fairness gegangen. Und wozu macht man eigentlich das ganze Geld, wenn man es nicht für seine Familie einsetzt, und für die Überwindung von Armut und Rückständigkeit.« Tatsächlich gilt der Multimilliardär als einer der großzügigsten Philanthropen weltweit. Er hat hohe Summen nicht nur für seine Heimatstadt gespendet, sondern auch für weniger prestigeträchtige Hilfsprojekte in vielen anderen Ländern.
Li Ka-shing wirkt überlebensgroß, als ein Symbol, eine Ikone, eine Legende. Ein Freund der Kommunisten, ein Vorbild der Kapitalisten. Verklärter und bei manchen auch verhasster Tycoon aller asiatischen Tycoone. Von seinem Penthouse liegt Li Ka-shing die ganze glitzernde Stadt zu Füßen. Er
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