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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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Volksbefreiungsarmee wurde mit 22 Jahren von einem Telefonmast erschlagen, doch er hatte, glaubt man der KP , schon in seinen jungen Jahren unsterblich viel Gutes getan – so viel, dass er zum Vorbild für die ganze Nation taugte. Der Große Vorsitzende höchstpersönlich kalligrafierte: »Lasst uns alle von Lei Feng lernen!« Entscheidend war wohl die Verbindung von Philanthropie und Patriotismus, die den jungen Mann seit frühester Jugend ausgezeichnet haben soll. Das posthum veröffentlichte Tagebuch des Waisenjungen jedenfalls strotzte nur so von selbstlosen Taten: Lei Feng, selbst nicht auf Rosen gebettet, spendete für die Armen und teilte noch die letzte Schüssel Reis mit den Genossen; er stopfte ihnen in der Freizeit die Socken, half Alten und Gebrechlichen über die Straße, prägte sich, wenn andere schon schliefen, im Schein seiner Taschenlampe die »Mao-Zedong-Gedanken« ein. Er suchte nicht nach individuellem Glück, sondern träumte stets davon, »ein ideales Schräubchen im Räderwerk der Revolution zu sein«. Der 5. März wurde zum »Lei-Feng-Tag« in China ausgerufen.
    Ende der Siebziger kam dann die wirtschaftliche Liberalisierung, der Heiligenschein des frugalen Helden begann zu verblassen. Tatsächlich ist heute kaum eine Gestalt vorstellbar, die weniger in den karrierebesessenen und markenversessenen chinesischen Kapitalismus passt als Lei Feng – was die Partei-Oberen nicht daran hindert, den Helden im Jahr 2013 aus der Versenkung zu holen. Es gibt neue Lei-Feng-Filme, Lei-Feng-Poster, ein Lei-Feng-Museum – und ein Lei-Feng-Comicbuch, das ihn mit John Lennon und Bruce Lee vergleicht. Offensichtlich glauben hohe Funktionäre, der Selbstlose von damals könnte die ideale Leitfigur für die vorherrschende moralische Krise sein, die überall spürbar ist und sich in mangelnder Hilfsbereitschaft für den Nächsten und in einem allgemeinen Zynismus ausdrückt. Ein gefährlicher Versuch, denn die Moral, die da eingefordert wird, lassen ja gerade viele an der Staatsspitze vermissen. Und so bricht in den sozialen Medien ein Shitstorm über die Partei herein. Ein Blogger namens »Notebook« schreibt auf dem Internetportal Sina Weibo , das geschätzt mehr als 300 Millionen Nutzern zugänglich ist: »Ihr schickt eure Kinder ins Ausland und wollt mir weismachen, ich müsste von Lei Feng lernen! Ich habe Krebs, weil ich gepanschte Milch von euren Partei-Unternehmern getrunken habe, und ihr getraut euch, mir Lei Feng als Vorbild hinzustellen!« Der Blog wurde nach ein paar Stunden von den staatlichen Zensoren gelöscht. Aber da war er, wie so häufig im China dieser Tage, schon unendliche Male heruntergeladen und weiterverschickt worden, Beleg für die entstandene Gegenöffentlichkeit, die von der KP nicht mehr eingefangen werden kann.
    Wer sich allerdings vorstellt, die Partei sei eine monolithische Organisation, deren Kräfte alle in eine Richtung ziehen, der verkennt die Situation: Auch in der Propagandapolitik zerren die Kräfte in unterschiedliche Richtungen, kämpfen Modernisierer gegen Erzkonservative. Sicher gibt es keine Differenzen darüber, was das oberste Ziel betrifft – den Machterhalt der KP . Aber über den besten Weg dorthin herrscht sichtbare Uneinigkeit. Denn da gibt es neben dem altbackenen Genossen Lei Feng noch einen anderen Genossen, den die Obrigkeit gerade in den Revolutionshimmel hebt. Fernsehauftritt Duan Wenyin. Ein alerter Endzwanziger, Jungunternehmer und Parteimitglied gibt sich die Ehre. Plaudert unverkrampft und fröhlich über Kommunismus und Karriere. Kein Vorgestriger, sondern ein Hingucker, gerade auch für junge Leute.
    Bei unserem Besuch in dem Dorf Beigou, 60 Kilometer nordöstlich von Peking pittoresk in den Bergen gelegen, streicht Herr Duan seinen perfekt sitzenden dunklen Anzug zurecht, die Frisur sitzt, er wählt geschmeidig und geschickt seine Worte. Ein kommender landesweiter Star aus der Provinz. Dazu gehört, sich angesichts des großen Ganzen beredt in Bescheidenheit zu üben. »Nein, ein Held will ich nicht sein«, sagt der Absolvent einer Elite-Universität der Hauptstadt. »Aber ich bin stolz auf mein Land und die Chancen, das es mir bietet. Ich bin ein Patriot.«
    Am Eingang des örtlichen Parteigebäudes hängen einträchtig die Porträts von Marx, Lenin, Mao und Deng nebeneinander: Li dang wei gong – »Einsatz der Partei für die Allgemeinheit« steht an der Wand, zu der Duan aufblickt. Der Pionier ist dem Rat der Regierung für Studienabgänger

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