Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten
umgeräumt. In der Mitte war eine freie Fläche entstanden, die Tische für Ärzte und Schreibpersonal standen am einen Ende dieser Fläche, die übrigen Tische hatte man am anderen Ende gegen die Wand gerückt. Ein Teil der rund fünfzig Rekruten saß mit baumelnden Beinen auf diesen Tischen, die anderen mussten stehen, da man die Stühle in einem anderen Raum verstaut hatte.
Wilhelm hatte schon damit gerechnet, wegen seines Alters und seiner Behinderung befremdete oder neugierige Blicke von den anderen Rekruten auf sich zu lenken, doch dass es so schlimm werden würde, hatte er nicht geahnt. Die jungen Burschen amüsierten sich prächtig über den nicht sehr großen Mann in seinen Vierzigern, der beim Gehen ein Bein nachzog und die wildesten Verrenkungen machte, um es zu kaschieren. Sie redeten und lachten über ihn, mal tuschelnd wie Mädchen, mal mit der unverblümten Offenheit junger Bauernburschen.
Ein dicklicher Offizier, der der Musterungskommission vorstand, trat mehrmals vor Wilhelm und erweckte den Anschein, ihn bald in den weißen Kreidekreis zu rufen, den man in der Mitte des Raumes auf den Holzboden gemalt hatte. Doch jedes Mal, wenn sich Wilhelms Gesicht aufhellte und er seinen Körper nach vorne beugte, um loszugehen, ging der Mann an ihm vorüber und orderte einen anderen zur Musterung.
Sie sahen alle zu, wie sich einer nach dem anderen bis auf die Unterhose ausziehen und die diversen Untersuchungen über sich ergehen lassen musste. Pro Person dauerte die Musterung keine fünf Minuten, aber bei fünfzig Rekruten machte das einen ganzen Nachmittag. So lange stand Wilhelm und wartete. Seine Hüfte schmerzte, doch er bewegte sich so wenig wie möglich. Sein steifes Kniegelenk, das ihm bei der Arbeit in seinen abgelegenen Gewächshäusern kaum bewusst geworden war, schien ihm an diesem Ort wie ein gewaltiger Makel, eine Schande geradezu.
Zum Abschluss der Untersuchung musste jeder Einzelne vor einem Arzt in der Ecke des Raumes die Unterhose abstreifen und sich die Hoden abtasten lassen. Zumindest war Wilhelm drei Stunden lang davon ausgegangen, es müsse sich bei diesem letzten Arzt um einen männlichen Mediziner handeln wie bei den anderen. Dass die jungen Kerle feixten und flüsterten und rote Wangen hatten, wenn sie ihre Hosen wieder hochziehen, zum Offizier gehen und ihre Tauglichkeitsbescheinigung entgegennehmen durften, erschien ihm nur normal. Doch als dieser „Arzt“, der bislang nur geschwiegen, observiert, getastet, genickt und Notizen gemacht hatte, einem Kollegen auf der anderen Seite des Raumes ein paar Sätze zuwarf, erkannte Wilhelm seinen Irrtum.
Die Stimme war die einer Frau. Bei dem vermeintlichen Arzt handelte es sich um eine Ärztin, in mittlerem Alter und mit groben Zügen zwar, aber zweifellos von weiblichem Geschlecht. Wie als Bestätigung antwortete der angesprochene Kollege ebenso laut: „Das besprechen wir später, Karla.“
Wilhelm war der Letzte, den man musterte.
Er kam kaum aus der Hose, versagte bei den Kniebeugen und bei den Liegestützen, sein Blutdruck war zu hoch, und nicht einmal die ernste Ärzteschaft, die die ganze Zeit über keine Miene verzogen hatte, wollte sich ein spöttisches Grinsen verkneifen. Man fand Schnittwunden in seinem Rücken und fragte ihn danach, doch als er die ganze Geschichte von den explodierenden Glashäusern erzählen wollte, unterbrach man ihn schon im zweiten Satz. Wilhelm registrierte, dass sieben oder acht der Jugendlichen, die eigentlich längst den Saal hätten verlassen und drüben in der Schankstube ihre erfolgreiche Musterung bei ein paar Bier hätten feiern sollen, geduldig im Raum geblieben waren, um sich Wilhelms Erniedrigung nicht entgehen zu lassen.
So hatte er sich das nicht vorgestellt.
Er gab sein Bestes. Als er vor der Ärztin stand, entblößte er sich tapfer und ließ sich die Hoden befühlen. Sie tat es ausgiebig und griff dabei schmerzhaft fest zu, bis er zusammenzuckte und das Gesicht verzog. „Ziehen Sie die Hose hoch!“, zischte sie am Schluss. Es klang, als schelte sie ihn für etwas Ungehöriges.
Mit gesenktem Kopf trat Wilhelm vor den Offizier. Dieser ließ ihn lange stehen, studierte die Eintragungen, die die verschiedenen Mediziner in ein Formular gekritzelt hatten. Einer der jugendlichen Gaffer verließ den Saal. Ihm war es offenbar zu langweilig geworden. Die anderen blieben und warteten auf den Höhepunkt.
„Wilhelm … äh … Stein“, begann der Uniformierte und kratzte sich den schütteren
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