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Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Titel: Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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der Beete. Dort stieg sie dann entgegen der Schwerkraft nach oben zu den Pflanzen hinauf.
    In Wirklichkeit lief von dem Hahn nicht etwas weg, sondern etwas hatte sich ihm genähert. Eine Handvoll Pflanzen aus der Nähe der Wasserleitung hatten ihre Arme nach dem Hahn ausgestreckt. Einige davon waren in seine Öffnung hineingekrochen, andere hatten sich um seinen Griff gewunden. Ein dicker Strang von ihnen hatte sich in die Löcher des Griffs hineingeflochten.
    Ein Strang, der nun vertrocknet und tot war.
    „So was hab ich noch nie gesehen“, flüsterte Angelika.
    „Ich auch nicht“, gestand Jaqueline. Zumal es sich nicht um Winden oder andere Kletterpflanzen handelte.
    „Glaubst du, die Pflanzen hätten den Hahn noch aufbekommen, wenn sie noch ein bisschen mehr Zeit gehabt hätten? Sie haben doch keine Muskeln, oder?“
    „Ich bin sogar ziemlich sicher, dass sie es geschafft hätten. Pflanzenspitzen können einen Druck von mehr als zehn Bar aufbauen – denk nur an den zarten Löwenzahn, der durch den Asphalt bricht. Einer solchen Pflanzenpower haben die meisten Wasserhähne nichts entgegenzusetzen. Ihr Problem dürfte eher sein herauszufinden, in welche Richtung sie drehen müssen. Und sie sollten sich untereinander irgendwie koordinieren, damit sie sich nicht gegenseitig behindern. Ich schätze, die besten Erfolgsaussichten hatten die Triebe, die in die Öffnung vorgedrungen sind. Die Dichtung hätten sie mit brutaler Gewalt sicher früher oder später weggesprengt.“
    Angelika ließ die Kanne sinken und sah sie aus großen Augen an. „Da muss man ja richtig Angst kriegen.“
    „Keine Sorge. Pflanzen sind zwar erstaunlich stark und auf jeden Fall viel intelligenter und kreativer, als wir es uns vorstellen können, aber sie haben zwei große Handicaps: Sie sind fest verwurzelt, und sie wachsen sehr langsam. Die Brombeerhecken da draußen gehören schon zu den schnelleren Exemplaren, und ich glaube nicht, dass wir Angst haben müssen, sie könnten in einer halben Stunde unseren Rückweg dichtgemacht haben.“
    „Intelligent?“, hakte Angelika ein. „Das ist jetzt vielleicht eine dumme Frage, Jackie, aber … wie können sie intelligent sein ohne Gehirn?“
    Jaqueline holte tief Luft. „Man geht davon aus, dass in ihren Zellen ähnliche Prozesse stattfinden wie in unserem Gehirn. Reize werden mithilfe von Kalzium und anderen Stoffen von Zelle zu Zelle weitergegeben und auf komplexe Weise verarbeitet wie in einem Computerprozessor. Wir Menschen haben spezialisierte Zellen dafür – die Nerven- und Hirnzellen –, bei den Pflanzen gibt es eine solche Differenzierung nicht. Die Pflanze denkt mit ihren Blättern genauso wie mit ihren Stängeln oder Wurzeln. Der gesamte Pflanzenkörper ist das Gehirn.“
    „Das wusste ich nicht“, hauchte Angelika. „Dann … sind diese toten Pflanzen hier die … Leichen intelligenter Wesen! Wir müssen sie schnell gießen! Die, die noch leben, meine ich. Vielleicht sind ja auch die Verwelkten noch nicht unwiderruflich tot.“
    Jaqueline lächelte gezwungen. Sie half der eifrigen Angelika dabei, den Hahn von Pflanzenteilen zu befreien. Glücklicherweise hatten sie es nicht mit dicken Ästen zu tun, sondern mit feinen Pflanzenärmchen, vermutlich Fenchel und etwas, das dünne, gefiederte Blätter hatte. Als sie den Hahn vorsichtig aufdrehten, knackte es im Inneren, und weitere Stückchen wurden mit dem Wasser herausgespült.
    Angelika machte ein nachdenkliches Gesicht. „Sie waren so nah dran … Wie mögen sie sich fühlen, wenn sie jetzt das Wasser plätschern hören?“
    „Die meisten von ihnen fühlen gar nichts mehr“, erwiderte Jaqueline mit der Nüchternheit, die sie von sich selbst erwartete.
    „Aber hören können Pflanzen doch, stimmt‘s? Es heißt, sie reagieren auf Musik, am meisten auf Mozart. Ich stehe mehr auf Evanescence.“ Sie drehte den Hahn zu. Die Kanne war vollgelaufen. „Weißt du, was ich mir gerade überlegt habe? Angenommen, dieser Aspen wäre nicht so schnell gefunden worden. Er fiel ins Koma, und ohne Infusionen wäre er innerhalb von ein paar Tagen gestorben. In seinem Körper wäre noch ziemlich lange ziemlich viel Flüssigkeit gewesen, und einige von den Pflanzen in seiner Nähe hätten bestimmt ihre … Auswüchse nach ihm ausgestreckt. Nach zwei, drei Wochen hätten sie ihn vielleicht sogar erreicht, ihre zehn Bar starken Spitzen in ihn getrieben und von ihm getrunken. Das wäre doch passiert, oder? Dann wäre er von seinen eigenen

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