Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten
Bündel wärmende Strahlen.
Jaqueline gefiel nicht, wie Angelika umherrannte, als sei sie ein Kind auf einem Waldspielplatz. Vermutlich stellte sie sich vor, durch den dornigen Park rund um Dornröschens Schloss zu streifen.
Das Mädchen winkte ihr von der gläsernen Tür aus zu. Sie war eine Kopflose. Ihr Gesicht verschwand hinter dem langsam entstehenden Dach aus Brombeerhecken.
„Es ist wie ein Friedhof“, rief Angelika mit vor Begeisterung zitternder Stimme. „Ein Pflanzenfriedhof. Komm, wirf doch mal einen Blick ins Innere!“
Jaqueline nahm sich Zeit für die gut zehn Meter lange Passage. Sie hielt sich gebückt und observierte vorsichtig. Überall hingen noch die winzigen, zusammengeschnurrten Reste vertrockneter Brombeeren, und während die oberste Pflanzenschicht im besten Saft stand, herrschte in Bodennähe ein dichtes Gewirr verdorrter Arme.
Als Jaqueline das Glashaus erreicht hatte, konnte sie wieder aufrecht stehen. Die Konstruktion musste schon älter sein. Von den dicken, klobig wirkenden Eisenrahmen war die hellgrüne Farbe abgeblättert, und der Rost hatte sich ausgebreitet, mancherorts in kleinen, dunklen Pünktchen, an anderen Stellen rotbraun und flächig. Irgendwie dreckig sah dieser Rost aus, und zusammen mit Lackresten, totem Moos und Flechten bildete er einen schrundigen, ungesunden Überzug. Die Scheiben hatten eine hohe, schmale Form, waren schmutzig und trüb, aber unversehrt.
Jaqueline kniff die Augen zusammen. Nach einem ersten Blick durch das Glas konnte sie Angelikas Begeisterung zwar immer noch nicht nachvollziehen, aber sie verstand wenigstens, was sie meinte. Die Hälfte der Pflanzen lag graubraun und vertrocknet auf den Beeten, kleine Holzschildchen steckten davor und erinnerten tatsächlich an provisorische Miniatur-Grabsteine. Die andere Hälfte stand zu trockenen Stängeln verdorrt aufrecht. Nur einige wenige Pflanzen trugen noch das Grün des Lebens in sich. Sechs Wochen Treibhaushitze ohne einen Tropfen Wasser hatten nur die robustesten unter ihnen überstanden.
„Ein paar leben noch“, stellte auch Angelika fest. „Wir müssen sie retten. Sie brauchen Wasser – ganz viel Wasser. Wir bewaffnen uns mit Gießkannen. Gut, dass wir da sind!“
Jaqueline bewaffnete sich mit gar nichts. Sie probierte die Klinke, und die Tür ließ sich widerstandslos nach innen öffnen.
Begrüßt wurden sie von einem eher unromantischen Geruch. Warme, abgestandene Luft, dazu eine dumpfe Prise Heu und irgendetwas Chemisches im Abgang. Für einen wirklich ekelhaften Gestank von Schimmel und Fäulnis war es zu trocken – das blieb ihnen also erspart, immerhin.
Angelika nützte Jaquelines Zögern aus und huschte als Erste ins Gewächshaus. Sie suchte offenbar eine Gießkanne und einen Wasserhahn, während Jaqueline sich in Ruhe einen Überblick verschaffte. Die Erde, in der die Pflanzen gewachsen (und gestorben) waren, füllte hüfthohe Behälter aus Beton. Die Anlage wirkte sehr robust, wie für die Ewigkeit angelegt. Einige der Kräuter erkannte sie, andere waren ihr unbekannt oder in einem Zustand, in dem sie nicht einmal mehr die CSI hätte identifizieren können. Das Bewässerungssystem funktionierte über dünne durchsichtige Kunststoffschläuche, in die in Zentimeterabständen Hunderte von winzigen Löchern gestochen waren. Irgendwo mussten sie in eine – jetzt zugedrehte – Wasserleitung münden.
Das Gewächshaus war angesichts seiner Größe erstaunlich niedrig gebaut. Wenn man die Arme ausstreckte, konnte man die Decke berühren. Jaqueline, die einen Meter sechsundsiebzig maß, musste auf der Hut sein, um nicht an den Drähten hängenzubleiben, an denen die Schläuche aufgehängt waren. Dazu kamen Dutzende großer Spinnennetze. Sie betrachtete eines und fand ihre Besitzerin reglos im Zentrum des Netzes. Als sie das Netz kurz anpustete, fiel die tote Spinne heraus und segelte langsam zu Boden. In ihr war kein Hauch von Feuchtigkeit mehr.
„Hier!“ Angelika hielt eine fleckige weiße Plastikgießkanne in die Höhe. „Jetzt brauchen wir zur Rettung unserer Schützlinge nur noch Wasser.“
„Links hinter dir“, bemerkte Jaqueline. Und dann, abwesend: „Schau dir das an …“ Tatsächlich gab es dort einen schwarz-grün oxydierten Hahn mit einem blumenförmigen Griff. Auf den ersten Blick sah es aus, als fließe aus dem Hahn eine zähle dunkle Flüssigkeit, sammle sich am Boden und rinne von dort aus in mehreren dünnen Bächen nach links und rechts zu den Betonwänden
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