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Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Titel: Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Bart. „Sie melden sich freiwillig.“
    „Das stimmt“, erwiderte Wilhelm hastig. Er hatte das Gefühl, der Rest seines Lebens hänge davon ab, wie er sich in den nun folgenden Sekunden schlug.
    „Meinen Sie das ernst?“ Der Offizier schmunzelte.
    „Jawohl, Herr Oberstleutnant.“ Wilhelm empfand Stolz darüber, dass er die Schulterklappe dem Rang zuordnen konnte, obwohl er schon über zwei Jahrzehnte nichts mehr mit dem Heer zu tun gehabt hatte. Dabei vergaß er, wie herabwürdigend sich die Frage ausnahm.
    „Wilhelm Stein“, sagte der Uniformierte. „Sie sind nicht vielleicht hergekommen, um mal vor einer Frau die Hosen herunterlassen zu dürfen?“
    Nun lachten alle im Saal – außer Wilhelm natürlich. Die Ärzte, die Schreiber, die Jungen hinter ihm, sie lachten nicht gellend oder wiehernd, aber deutlich und unverhohlen. Sie alle kamen auf ihre Kosten.
    „Nein, Herr Oberstleutnant“, entgegnete Wilhelm. „Ich bin hergekommen, um meinem Vaterland zu dienen.“ Kein Trotz sprach aus ihm, kein Zynismus, sondern Entschlossenheit.
    „Schon gut“, meinte der Offizier. Es schien ihm beinahe peinlich zu sein, dass er sich hatte gehen lassen. Nun ersetzte er die Heiterkeit in seiner Miene durch Mitleid. „Wilhelm, wir können Sie nicht tauglich sprechen, das ist Ihnen doch wohl klar?“
    Wilhelm schluckte. „Aber … im letzten Krieg habe ich …“
    „… sich das Knie durchschießen lassen.“
    „Herr Oberstleutnant, ich weiß, dass kein Infanterist mehr aus mir wird. Aber es muss doch einen Platz geben, an dem ich etwas tun kann …“
    „Was sind Sie von Beruf, Wilhelm?“ Noch ehe der Angesprochene antworten konnte, fand er die entsprechende Stelle in seinen Dokumenten. „Blumenzüchter, aha.“ Einer der Ärzte kicherte wie ein Kind. „Blumenzüchter. Das ist gut. Was züchten Sie?“
    „Rosen, Herr Oberstleutnant.“
    „Ich verstehe, Wilhelm. Sie sind Rosenzüchter und möchten etwas für Ihr Vaterland tun, habe ich das recht verstanden?“ Er sprach jetzt mit seinem Gegenüber wie mit einem Kind.
    „Jawohl, Herr Oberstleutnant.“
    „Tja, mein lieber Wilhelm … Dann würde ich sagen, gehen Sie zurück zu Ihren Rosen, passen Sie auf, dass Sie sich nicht an den Dornen stechen und …“
    „Stacheln, Herr Oberstleutnant. Rosen haben Stacheln, keine Dornen. Stachelbeeren haben Dornen.“
    Der Offizier erhob sich. Er sah nicht mehr erheitert aus. „Diese Personen, die Sie hier vor sich sehen, sind allesamt vielbeschäftigte Leute. Wilhelm, Sie erweisen Ihrem Vaterland einen großen Dienst, wenn Sie sie nicht länger aufhalten mit Ihren Geschichten über Stacheln, die Dornen sind, und was weiß ich nicht noch alles. Gehen Sie zurück zu Ihren Rosen!“
    Es gibt keine Rosen mehr , dachte Wilhelm.
    Natürlich konnte er das nicht aussprechen. Wenn er vor diesen Männern (und einer Frau) erklärte, dass er seine beiden Gewächshäuser mit Tausenden von Blumen in einem Feuerball hatte verglühen lassen, dass er sich in Lebensgefahr begeben hatte, um einen Schlussstrich unter sein bisheriges Leben zu ziehen, dann würden ein oder zwei von ihnen lachen, bis sie einen Schluckauf bekamen.
    Das wollte er nicht.
    Also verließ er den Saal.
    „He, vergiss nicht, dich anzuziehen, du abartiger Kerl“, rief einer der Jugendlichen und warf ihm die Kleider hinterher.

5
    Gegenwart
    Irgendetwas war in dem hinteren Gewächshaus nicht in Ordnung.
    Es mochte sein, dass nur die Temperatur geringfügig höher lag, dass ein Beet verwesender Pflanzen einen besonderen Geruch verströmte, dass irgendetwas mit der Perspektive nicht stimmte. Diesmal betrat Jaqueline den Raum vor ihrer Mitstudentin, und der Eindruck von Unsicherheit und Gefahr war so intensiv, dass sie einfach in der Zwischentür stehenblieb.
    „Jackie, was hast du?“ Angelika versuchte an ihr vorbeizusehen, doch die Tür war schmal, und Jaqueline zehn Zentimeter größer als sie.
    „Nichts“, erwiderte sie schnell, und dann, in klarem Widerspruch dazu: „Da ist etwas.“ Sie hasste sich selbst dafür, dass sie ihre Wahrnehmung nicht präzisieren konnte, und das machte sie noch kribbeliger.
    „Was? Wo?“ Jetzt schob Angelika sie sanft zur Seite, drückte sich an ihr vorüber und trat selbst in das hintere Glashaus. Jaqueline beobachtete, wie die Blonde den schmalen Gang entlang ging, leise und langsam, die eine Hand ein wenig zur Seite erhoben, als balanciere sie auf einem Seil, in der anderen die Gießkanne, die sie frisch gefüllt hatte.

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