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Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Titel: Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Angelika blickte nicht nach links und rechts, sondern hielt den Kopf streng gerade. Sie goss auch nicht, lief den Weg erst einmal ab. Vermutlich wollte sie prüfen, ob auch sie etwas Ungewöhnliches spürte.
    Für Jaqueline war es eine Szene wie aus einem Horrorfilm. Man wartete darauf, dass von einer der Seiten ein Bündel Fangarme hervorschnellte und die Ahnungslose in einen riesigen Schlund hinein riss. Obgleich das nicht geschah, wurde das ungute Gefühl nicht schwächer.
    Am Ende des Korridors gab es wieder eine Tür. Angelika rüttelte erfolglos daran. Mit einem freundlichen, nahezu tröstenden Lächeln drehte sie sich um und blieb dort stehen. Setzte die Kanne ab. Gut und gerne zehn Meter trennten sie. Jaqueline kam es vor, als läge die ganze Welt zwischen ihnen. Wenn etwas geschah (ein Zwischenfall mit einer tausendfach beschleunigten Pflanzenbestie), konnten sie vielleicht nichts füreinander tun.
    Dieser Teil des Gewächshauses glich dem vorderen, doch er schien noch älter oder ungepflegter. Die Scheiben waren stärker verschmutzt, und es fiel weniger Licht durch sie ein. Die Rückwand, vor der Angelika stand, wurde von braunen Schlieren dominiert, eingetrocknete Spuren einer rostigen Flüssigkeit, die von der Decke troff. Den hohen Wäldern verdorrter Vegetation nach zu schließen, hatte Eberhard Aspen hier größere Pflanzen gezüchtet – größer, aber nicht widerstandsfähiger. Hier war nichts mehr am Leben.
    „Weißt du, was das ist, Jackie? Das Haus steht bestimmt auf einer Wasserader. Margarete hat mir mal gezeigt, wie sich das anfühlt. Manchmal kann man das spüren. Du spürst es auch, stimmt’s?“
    Jaqueline antwortete nicht. Ja, es fühlte sich so an, als befinde sich etwas unter ihnen in der Erde. Etwas, das sich bewegte, keine Ruhe kannte. Aber eine Wasserader?
    „Das macht mich total traurig“, meinte Angelika. „Stell dir vor: Da unten ist Wasser, oben über dem Dach ist Wasser, wenn es regnet, nur in diesem Schlauch aus Glas hier herrscht totale Trockenheit.“
    Na na , wollte Jaqueline einwerfen. Nun werd‘ mal nicht melodramatisch! Überall auf der Welt vertrocknen Pflanzen.
    „Sie haben es bestimmt gespürt“, fuhr Angelika fort. „Wenn wir es schon fühlen können! Aber ihre Wurzeln waren nicht lang genug, um das Wasser zu erreichen. Sind die Beete eigentlich unten offen, oder haben sie einen Betonboden?“
    Natürlich wusste Jaqueline das nicht. Dazu hätte sie genauer hinsehen, womöglich sogar graben müssen. „Wir gehen“, befahl sie krächzend. „Hier brauchst du nicht zu gießen.“
    „Und ob!“, rief Angelika. „Die Hoffnung stirbt zuletzt, weißt du das nicht, Jackie?“ Angelika war ganz Angelika, die Engelsgleiche. In ihrer Stimme war nichts Angriffslustiges, nichts Zynisches, doch Jaqueline fühlte sich trotzdem von ihr angegriffen. Es ging ihr auf den Wecker, dass diese Frau nie tat, was sie von ihr wollte, dass sie immer ihren eigenen spleenigen Kopf durchsetzen musste. War Jaqueline nicht die Klügere von ihnen? Hätte Angelika nicht gut daran getan, ab und an auf sie zu hören, jetzt zum Beispiel, wo … wo …
    Wo Jaqueline darauf drängte, ein Gewächshaus fluchtartig zu verlassen, in dem es keinerlei greifbare Gefahr gab und das lediglich voll verdorrter Pflanzen war? Von denen keine einzige Anstalten machte, zu zombiehaftem Leben zu erwachen? Jaqueline schloss die Augen und tat etwas, was sie schon lange nicht mehr getan hatte: Sie schämte sich. Ein bisschen für Angelika und eine Menge für sich selbst.
    Sie hörte das Wasser plätschern. Angelika goss die toten Pflanzen. Sie war so ein gutes Mädchen. Man hätte heulen können vor Rührung.
    „Leer“, murmelte Angelika. „Muss frisches Wasser holen. Lässt du mich mal durch? Auf dieser Seite ist kein Wasserhahn.“
    Jaqueline öffnete die Augen und fühlte sich ein wenig entspannter. „Lass gut sein. Ich hol Wasser für dich. In der Zwischenzeit kannst du ja deine kleinen Patienten streicheln.“ Sie meinte es ernst. Solange Angelika nicht das Gefühl hatte, alles in ihrer Macht Stehende getan zu haben, kamen sie ohnehin nicht von hier weg.
    Sie stieß die Zwischentür auf, die sich von alleine hinter ihr geschlossen hatte, machte einen Schritt in das vordere Haus und wandte sich der Wasserleitung zu.
    Ihre Hand lag auf dem Hahn, als sie erstarrte.
    Die Atmosphäre in dem Glashaus hatte sich verändert. Irgendwo links von ihr raschelte es. Außerdem hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden.

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