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Die neuen Leiden des jungen W

Die neuen Leiden des jungen W

Titel: Die neuen Leiden des jungen W Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urlich Plenzdorf
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auskommen, eine Art Kindernarr. Die Meinung wollte ich ihr nicht nehmen. Ich und ein Kindernarr! Zweitens waren die Gören meine einzige Chance, an Charlie dranzubleiben. Ich konnte machen, was ich wollte, ich kriegte Charlie nicht wieder auf meine Kolchose und in meine Laube schon gar nicht. Sie wußte, warum, und ich auch. Auf die Art hing ich also Tag für Tag in diesem Auslauf. Ich drehte das Karussell oder was dieses Ding mit den vier Auslegern sein sollte, oder ich mimte den Indianer. Dabei kriegte ich langsam mit, wie man sie sich abwimmeln kann, wenn man will. Wenigstens für zehn Minuten. Ich teilte sie in zwei Parteien und ließ sie sich befehden.
    Um die Zeit kam auch die erste Antwort von Willi. Der gute Willi. Das war zuviel für ihn. Das hatte er nicht überstanden. Auf dem Band war folgender Text: Salute, Eddie! So geht es nicht. Gib mir den neuen Code. Welches Buch, welche Seite, welche Zeile. Ende. Was macht Variante drei?
    Gib mir den neuen Code! Ich wurde nicht wieder. Das war zuviel für ihn. Es war auch nicht ganz fair von mir, das gebe ich zu. Ansonsten verstanden wir uns aufs Stichwort. Aber das war zuviel. Ein neuer Code. Ich hätte mir in den Hintern beißen können. Wenn wir in Stimmung waren, konnten wir uns zum Beispiel massenweise blöde Sprichwörter an den Kopf werfen: Ja, ja, das Brot hat immer zwei Kanten. — Schon recht. Aber wenn man das Geschirr morgens nicht abtrocknet, ist es noch naß. — Wer dumm ist, braucht noch lange nicht blöd zu sein. — Arbeit macht die Füße trocken. In dem Stil. Aber das war zuviel für Old Willi. Leute, seine Stimme hättet ihr hören sollen. Er verstand die Welt nicht mehr. Mit Variante drei meinte er, ob ich arbeite oder so. Er dachte wohl, ich verhungere. Genauso Charlie. Sie fing immer wieder davon an.
    Ich hatte nichts gegen Arbeit. Meine Meinung dazu war: Wenn ich arbeite, dann arbeite ich, und wenn ich gammle, dann gammle ich. Oder stand mir etwa kein Urlaub zu? Aber es soll keiner denken, ich hatte vor, ewig auf meiner Kolchose zu hocken und das. Man denkt vielleicht erst, das geht. Aber jeder einigermaßen intelligente Mensch weiß, wie lange. Bis man blöd wird, Leute. Immer nur die eigene Visage sehen, das macht garantiert blöd auf die Dauer. Das popt dann einfach nicht mehr. Der Jux fehlt und das. Dazu braucht man Kumpels, und dazu braucht man Arbeit. Jedenfalls ich. Bloß so weit war ich noch nicht. Vorläufig popte es noch. Außerdem hatte ich keine Zeit für Arbeit. Ich mußte an Charlie dranbleiben. An Charlie lag mir was, aber das sagte ich wohl schon. In so einem Fall muß man dranbleiben. Ich seh mich noch neben ihr hocken in diesem Auslauf, und die Gören spielten um uns rum. Charlie häkelte. Ein Idyll, Leute. Fehlte bloß noch, daß ich meinen Kopf in ihrem Schoß hatte. Ich hatte da keine Hemmungen, und ich hatte es auch schon einmal geschafft. Das Gefühl am Hinterkopf war nicht schlecht. Im Ernst. Aber seit dem Tag brachte sie Häkelzeug mit und fummelte damit ständig in ihrem Schoß rum. Sie kam nachmittags mit den Gören, setzte sich hin und nahm das Häkelzeug vor. Ich war dann immer schon da. Charlie hatte eine Art, sich hinzusetzen, die einen halb krank machen konnte. Sie hatte wohl nur weite Röcke, und bevor sie sich hinsetzte, faßte sie jedesmal hinten nach dem Saum, hob ihn an und setzte sich auf ihre Hosen. Sie machte das sehr präzise. Deswegen war ich immer schon da, wenn sie kam. Ich wollte mir das nicht entgehen lassen. Ich sorgte auch dafür, daß die Bank immer trocken war. Ich weiß nicht, ob sie das merkte. Aber daß ich zusah, wenn sie sich hinsetzte, wußte sie genau. Das kann mir keiner erzählen. So sind sie. Sie wissen genau, daß man zusieht, und machen es trotzdem. Eine Schau für sich war auch, wie sie dabei jedesmal ihre Scheinwerfer nach unten hielt. Sonst war es ihre Art, einen immerzu anzusehen. Aber in dem Moment hielt sie ihre Scheinwerfer nach unten. Ich glaube, Charlie hatte einen leichten Silberblick. Deswegen der Eindruck, daß sie einen ständig ansah. Ich weiß nicht, ob einer diese Porträts von Leuten kennt, die an der Wand hängen und einen immerzu ansehen, in welche Ecke man auch geht. Der Trick, den die Maler da haben, ist einfach der, daß sie die Augen so malen, daß die optischen Achsen genau parallel verlaufen, was sie im Leben nie tun. Bekanntlich gibt es keine wirklichen Parallelen. Ich will damit nicht sagen, daß es mir unangenehm war. Das nicht. Bloß, man wußte nie,

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