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Die neuen Leiden des jungen W

Die neuen Leiden des jungen W

Titel: Die neuen Leiden des jungen W Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urlich Plenzdorf
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man das nennen soll. Sylvia war fast drei Jahre älter als ich gewesen, aber von wegen Frau? Ich weiß nicht, ob mich einer versteht. Sylvia war weit unter meinem Niveau. Ich hatte deswegen nichts gegen sie, aber sie war weit unter meinem Niveau. Charlie war die erste ernsthafte Frau, mit der ich zu tun hatte. Ich hatte nicht gedacht, daß ich gleich so bei ihr losgehen würde. Ich wurde fast nicht wieder, Leute. Ich denke, das kam, weil ich immer an ihr drangeblieben war. Ich spurtete in meine Laube, das heißt, ich wollte. Vorher sah ich noch Dieter. Er war Charlie entgegengekommen. Er war in Schlips und Kragen, hatte einen Koffer, eine von diesen blöden Kollegmappen, ein Luftgewehr in der Hülle und einen Strauß Blumen. Ich schätzte ihn auf fünfundzwanzig, ich meine: diesen Dieter. Demnach mußte er länger gedient haben. Wahrscheinlich hatte er es bis zum General gebracht oder so. Ich wartete, ob sie sich küßten. Ich konnte aber nichts davon sehen.
    In der Laube griff ich sofort zum Mikro. Das mußte Old Willi mitkriegen. Eine Sekunde, und ich hatte den passenden Text:
    Genug, Wilhelm, der Bräutigam ist da! ... Glücklicherweise war ich nicht beim Empfange! Das hätte mir das Herz zerrissen. Ende.

    »Wenn es mit der Malerei nichts gewesen ist, frage ich mich, wovon er denn nun eigentlich gelebt hat.«
    »Er hätte höchstens irgendwo den Hilfsarbeiter abgeben können. Aber das hätten wir merken müssen, mein Mann und ich. Das heißt, damals waren wir noch nicht verheiratet. Wir kannten uns schon ziemlich lange, von Kind auf. Er war dann lange bei der Armee gewesen. Ich brachte ihn und Edgar zusammen. Dieter, also mein Mann, war zuletzt Innendienstleiter gewesen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das was sagt. Dabei hatte er jedenfalls viel mit Jungs in Edgars Alter zu tun. Ich dachte, er würde auf Edgar vielleicht ein bißchen Einfluß haben. Sie kamen auch ganz gut zusammen aus. Wir waren einmal bei Edgar, und Edgar war gelegentlich bei uns. Aber Edgar war ja nicht zu helfen. Es war ihm einfach nicht zu helfen. Dieter hatte wirklich eine Lammsgeduld mit ihm, vielleicht zu viel, ich weiß nicht. Aber Edgar war eben nicht zu helfen.«

    Es stimmt. Sie rückten mir beide auf die Bude.
    Mit ihrem Dieter zusammen traute sich Charlie wieder in meine Bude. Sie war ein paar Tage nicht im Auslauf gewesen. Ihre Gören ja, sie nicht. Dann tauchte sie mit Dieter bei mir auf. Sie duzte mich. Ich kannte das. Sie wollte Dieter klarmachen, daß sie zu mir stand wie zu einem harmlosen Spinner. Ich nahm sofort die Fäuste hoch. Ich meine, nicht wirklich. Innerlich. Ich sagte wohl noch nicht, daß ich seit vierzehn im Boxklub war. Außer Old Willi war das vielleicht das Beste in Mittenberg. Ich wußte zwar nicht, was Dieter für ein Partner war. Auf den ersten Blick schätzte ich ihn für ziemlich schlapp. Aber ich hatte gelernt, daß man einen Partner nie nach dem ersten Blick einschätzen darf. Bloß, daß er kein Mann für Charlie war, der Meinung war ich sofort. Er hätte ihr Vater sein können, ich meine, nicht altersmäßig. Aber sonst. Er bewegte sich mindestens so würdig wie Bismarck oder einer. Er baute sich vor meinen gesammelten Werken auf. Wahrscheinlich hatte ihn Charlie vor allem deswegen mitgeschleppt. Sie war sich immer noch nicht ganz sicher, ob ich nicht doch ein verkanntes Genie war. Ansonsten hielt sie sich immer dicht neben Dieter. Ich hatte nach wie vor die Fäuste oben. Dieter brauchte ziemlich lange. Ich dachte schon, es kommt gar nichts von ihm. Aber das war so Dieters Art. Ich glaube nicht, daß er irgendein blödes Wort sagte, das er nicht dreimal überlegt hatte, wenn das reicht. Dann legte er los: Ich würde sagen, es könnte ihm nichts schaden, wenn er sich mehr auf das Leben orientieren würde in Zukunft, auf das Leben der Bauarbeiter zum Beispiel. Er hat sie ja hier direkt vor der Tür. Und dann natürlich gibt es hierbei wie überall gewisse Regeln, die er einfach kennen muß: Perspektive, Proportionen, Vordergrund, Hintergrund.
    Das war’s. Ich sah Charlie an. Ich sah mir den Mann an. Ich hätte laut Scheiße brüllen können. Der Mann meinte das ernst, völlig ernst. Ich dachte erst: Ironie. Aber er meinte das ernst, Leute!
    Ich hätte ihn noch eine Weile durch den Ring treiben können, aber ich beschloß, sofort meine schärfste Waffe einzusetzen. Ich überlegte kurz und schoß dann folgendes Ding ab:
    Man kann zum Vorteile der Regeln viel sagen, ungefähr was man zum Wohle der bürgerlichen

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