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Die neuen Leiden des jungen W

Die neuen Leiden des jungen W

Titel: Die neuen Leiden des jungen W Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urlich Plenzdorf
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Gesellschaft sagen kann. Ein Mensch, der sich nach ihnen bildet, wird nie etwas Abgeschmacktes und Schlechtes hervorbringen, wie einer, der sich durch Gesetze und Wohlstand modeln läßt, wie ein unerträglicher Nachbar, nie ein merkwürdiger Bösewicht werden kann; dagegen wird aber auch alle Regel, man rede, was man wolle, das wahre Gefühl von Natur und den wahren Ausdruck derselben zerstören!
    Dieser Werther hatte sich wirklich nützliche Dinge aus den Fingern gesaugt. Ich sah sofort, daß ich die Fäuste runternehmen konnte. Der Mann hatte nichts mehr zu bestellen. Charlie hatte ihn mindestens auf allerhand vorbereitet, aber das war zuviel für ihn. Er tat zwar so, als hätte er es mit einem armen Irren zu tun, den man keinesfalls reizen darf, bloß damit konnte er mich nicht täuschen. Jeder vernünftige Trainer hätte ihn aus dem Kampf genommen. Technischer K. o. Charlie wollte denn auch gehen. Aber Dieter hatte noch was: Andererseits ist es recht originell, was er da macht, und auch dekorativ.
    Ich weiß nicht, was er sich dabei dachte. Wahrscheinlich glaubte er, er hätte mich ausgeknockt, und wollte mir jetzt die Pille versüßen! Du armer Arsch! Der Mann tat mir leid. Ich ließ ihn gehen. Blöderweise fiel ihm in dem Moment dieser Schattenriß ins Auge, den ich seinerzeit von Charlie gemacht hatte. Charlie sagte sofort: Das sollte für dich sein. Er hat ihn mir bloß nicht gegeben. Angeblich, weil er noch nicht fertig war. Bloß gemacht hat er nichts daran seitdem.
    Und Dieter: Ich hab dich ja jetzt in natura. Leute! Das sollte wahrscheinlich charmant sein. Das war ein Charmebolzen, der liebe Dieter. Dann zogen sie ab. Charlie hing die ganze Zeit an seinem Hals. Ich meine, nicht wirklich. Mit ihren Scheinwerfern. Damit ich es bloß sah. Aber das lief ab an mir wie Wasser. Nicht daß einer denkt, ich hatte was gegen Dieter, weil er von der Armee kam. Ich hatte nichts gegen die Armee. Ich war zwar Pazifist, vor allem, wenn ich an die unvermeidlichen achtzehn Monate dachte. Dann war ich ein hervorragender Pazifist. Ich durfte bloß keine Vietnambilder sehen und das. Dann wurde mir rot vor Augen. Wenn dann einer gekommen wäre, hätte ich mich als Soldat auf Lebenszeit verpflichtet. Im Ernst.
    Zu Dieter will ich noch sagen: Wahrscheinlich war er ganz passabel. Es konnte schließlich nicht jeder so ein Idiot sein wie ich. Und wahrscheinlich war er sogar genau der richtige Mann für Charlie. Aber es hatte keinen Zweck, darüber nachzudenken. Ich kann euch nur raten, Leute, in so einer Situation nicht darüber nachzudenken. Wenn man gegen einen Gegner antritt, kann man nicht darüber nachdenken, was er für ein sympathischer Junge ist und so. Das führt zu nichts.
    Ich griff nach dem Mikro und teilte Willi den neusten Stand der Dinge mit:
    Er will mir wohl, und ich vermute, das ist Lottens Werk..., denn darin sind die Weiber fein und haben recht; wenn sie zwei Verehrer in gutem Vernehmen miteinander erhalten können, ist der Vorteil immer ihr, so selten es auch angeht. Ende.
    Langsam gewöhnte ich mich an diesen Werther, aber ich mußte den beiden nach. Ich wußte, daß man dranbleiben muß, Leute. Die erste Runde kann an dich gehen, aber dann am Gegner dranbleiben. Ich wetzte hinter ihnen her und hängte mich einfach mit rein. »Ich bringe euch noch«, in diesem Stil. Charlie hing an Dieters Arm. Den andern gab sie fast sofort mir. Ich wurde beinah nicht wieder. Ich mußte sofort an Old Werther denken. Der Mann wußte Bescheid. Dieter sagte keinen Ton.
    Wir landeten auf Dieters Bude. In einem Altbau. Ein Zimmer und Küche. Das war das aufgeräumteste Zimmer, das es überhaupt geben konnte. Mutter Wibeau hätte ihre Freude dran gehabt. Es war ungefähr so gemütlich wie der Wartesaal auf dem Bahnhof Mittenberg. Bloß, der war wenigstens nie aufgeräumt. Das konnte ich leiden. Ich weiß nicht, ob das einer kennt, diese Zimmer, die ewig so aussehen, als sind sie nur zwei Tage im Jahr bewohnt und dann vom Chef der Hygieneinspektion. Und das schönste war: Charlie dachte plötzlich genau dasselbe. Sie sagte: Das wird hier alles anders. Laß uns erst mal heiraten, ja?
    Ich fing mit einer Art Stubendurchgang an. Zuerst nahm ich mir die Bilder vor, die er hatte. Das eine war ein mieser Druck von Old Goghs Sonnenblumen. Ich hatte nichts gegen Old Gogh und seine Sonnenblumen. Aber wenn ein Bild anfängt, auf jedem blöden Klo rumzuhängen, dann machte mich das immer fast gar nicht krank. Bestenfalls tat es mir dann

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