Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
Göttern am nächsten wussten, schlugen sie unzählige Stufen in den Fels, um Wege zu Hochplateaus zu ermöglichen – außer zu religiösen auch zu strategischen Zwecken. Sie bauten ein weitläufiges Kanalsystem, das die Stadt und ihre Felder mit Wasser versorgte. Und sie bauten Privathäuser und öffentliche Gebäude, Brunnen und Gärten, Theater und Kolonnaden – in dieser Kulisse und unwirtlichen Wüstenumgebung schufen sie damit ein erstaunliches Gesamtkunstwerk, eine modellierte Felslandschaft, in der sie lebten und arbeiteten. Man darf vermuten, dass einen nabatäischen Karawanenführer der Anblick mit großem Stolz erfüllt haben muss, wenn er auf dem beschwerlichen Weg der Weihrauchstraße vom Süden Arabiens sein Handelsgut nach Gaza brachte und unterwegs in die Hauptstadt und Prachtoase seines Volkes kam.
Der spektakuläre Zugang zur Stadt führt durch den Siq, eine von Osten kommende, anderthalb Kilometer lange, enge Schlucht, an der schmalsten Stelle gerade mal zwei Meter breit. Dort entlang verliefen auch mit Steinplatten abgedeckte Wasserrinnen zur Versorgung der Stadt mit Brauchwasser. Trinkwasser wurde von einer Quelle im Wadi Musa (»Mosestal«) abgezweigt und mittels tönerner Leitungen in die Stadt gebracht. Der Name »Mosestal« bezieht sich auf die biblische Erzählung, derzufolge Moses, als das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten in der Wüste Durst litt, auf Geheiß Gottes mit seinem Stab an den Fels schlug, woraufhin eine Quelle zu sprudeln begann.
Die Bewohner von Petra mussten das klassische Wasserproblem einer Wüstenregion lösen: im Winter wilde, zerstörerische Wassermassen, die sich mit atemberaubender Geschwindigkeit ihren Weg durch enge Schluchten bahnen; im langen, überaus heißen Sommer kein Wasser weit und breit. Den geschicktenIngenieuren der Nabatäer gelang es, die winterlichen Wassermassen zu bändigen und so zu leiten, dass sie, statt die Stadt mit ihren Sturzbächen zu bedrohen, unzählige Zisternen füllten, aus denen sich Petra in der langen Trockenzeit versorgen konnte – bei wachsendem Bedarf angesichts einer steigenden Bevölkerung und mit immer mehr Brunnen und Wasserbecken, die zum Ruf der Stadt als prächtige, staunenswerte Oase in der kargen Wüste beitrugen.
Irgendwann im 1 . Jahrhundert v. Chr. – vielleicht auch sehr viel später, denn die genaue Datierung des Baus ist in der Forschung ebenso umstritten wie seine Bestimmung – wurde dem roten Felsen die berühmteste Fassade von Petra abgetrotzt: das sogenannte Khazne al-Firaun oder Schatzhaus des Pharao, über einem Platz hoch aufragend und heute sozusagen das Wahrzeichen des Touristenmagnets Petra. Ein Schatzhaus ist es allerdings nie gewesen, schon gar nicht das eines Pharao. Auch dieser Name bezieht sich auf die Bibel und die Geschichte vom Auszug der Israeliten aus Ägypten. Der König, der die Israeliten nach Ägypten zurückholen wollte, soll seine mitgeführten Schätze hier zwischengelagert haben. Vermutlich aber war auch dieses Bauwerk ein Grabmal, wenn auch ein ausgesprochen prächtig gestaltetes: Seine Tempelfassade vereint griechisch-hellenistischen Stil mit nabatäischer Felskunst, sie trägt Figuren griechischer ebenso wie nabatäischer Gottheiten. Eine Reihe von sechs Säulen mit reich verzierten korinthischen Kapitellen säumt den zurückgesetzten Eingang, trägt über einer Giebelfassade weitere Säulen und in deren Mitte einen Rundtempel, alles versehen mit Figuren, die durch mutwillige Zerstörung und vom Zahn der Zeit leider arg mitgenommen sind. Das prachtvolle Gebäude könnte Grabmal eines Nabatäerkönigs gewesen sein, ein Mausoleum zu seiner Erinnerung, möglicherweise für Obodas I ., dessen Sohn aufgrundseiner Bewunderung hellenistischer Kunst den Beinamen Philhellenos (»Griechenfreund«) trägt. Wie andere Bauwerke war das Schatzhaus mit bemaltem Stuck verkleidet. Offenbar diente es als Vorbild für weitere Bauten, die erkennbare Nachahmungen sind, so das leider arg ramponierte Korinthische Grab oder das sehr viel besser erhaltene Felsgrab Ed-Deir. Letzteres wurde im Bergfels nordwestlich über dem Stadtzentrum gebaut – an seine einstmals vorhandenen Statuen erinnern allerdings nur noch die Nischen der Fassade. Figuren hätten Auskunft geben können über den Zweck des Gebäudes, das vielleicht ein weiterer Ort der Verehrung für den vergöttlichten Nabatäerkönig Obodas I . war. Ein säulenbestandener Platz könnte eine fromme Menge erwartet haben, die demütig einen
Weitere Kostenlose Bücher